Unsichtbare Kräfte
Es wäre nicht ausgeschlossen, daß dieser Hauptmann der Gesuchte ist.«
In diesem Augenblick trat ein junger indianischer Arbeiter in die Kneipe, der am Bartisch hastig ein Glas Bier trank. Im Wiederhinausgehen warf er den beiden einen bedeutungsvollen Blick zu. Gleich darauf erhoben sie sich und folgten ihm unauffällig.
»Sie können sich auf diesen José wirklich verlassen, Wildrake? Eine Falle könnte uns den Kopf kosten.«
»Unbedingt, Droste! Hat er doch schon auf Marias Bitten gewagt, unter Gefahr seines Lebens hierherzukommen. Der gute Junge hatte wahrscheinlich angenommen, die Unionsgefängnisse seien ähnlich denen da unten in Coro, wo die Kerkermauern aus einer Lehmwand bestehen, die man mit einem kräftigen Fußtritt einstoßen kann. Daß ich ihm begegnete, wie er mit naiver Beharrlichkeit um das Gefängnis herumschlich, halte ich für einen glücklichen Schicksalswink.«
*
In einer geräumigen Kasematte des Nordforts, die zu einem Kasino ausgebaut war, saßen die Offiziere der beiden Forts auf der Insel Degoito. Das Eiland lag zehn Kilometer vom Festland entfernt und gehörte zu dem Kranz der befestigten Inseln, die den Hafen von Bahia schützten. Das Nachtmahl war längst beendet, doch hielt ein kleines Fest des Kommandanten die Offiziere fast vollzählig beisammen.
Da plötzlich erschütterte die Explosion einer Bombe, die am Eingang der Kasematte detonierte, die riesenstarken Betonmauern bis in ihre Grundfesten. Gleichzeitig erloschen sämtliche Lichter. Ein unbeschreibliches Durcheinander entstand. In der Dunkelheit suchte man den Ausgang - fand ihn verschüttet - fahndete vergeblich nach den Schlüsseln zu den Luken, die durch die Decke nach oben führten. Bis endlich die allen bekannte Stimme des Kommandanten Ruhe schuf.
Jetzt hörte man von draußen lautes Schreien heraneilender Hilfsmannschaften. Durch den verschütteten Eingang gewahrten die Eingeschlossenen den Lichtschein von Fackeln.
Auch aus dem südlichen Fort war auf die Explosion hin der Hauptteil der Besatzung nach dem Nordfort geeilt. Nur die eigentlichen Wachmannschaften blieben zurück. Sie hatten sich wie auf Kommando auf den Donner der Explosion hin im Wachlokal bei ihrem Korporal versammelt. Der wollte sie eben wieder hinausschicken, als die schwere Eichentür mit Gewalt ins Schloß fiel. Bevor die Eingesperrten sich von ihrer Überraschung erholt hatten, hörten sie, wie ein eiserner Keil in den unteren Spalt der Tür getrieben wurde. Vergeblich warfen sie sich dagegen.
»Was war das, Barradas? Hörten Sie nicht auch den dumpfen Knall?« fragte Alvarez.
»Eine losgebrochene Seemine!« warf Calleja ein.
»Wahrscheinlich.« Barradas folgte dem Beispiel der anderen, warf sich schlaftrunken auf die Pritsche zurück.
»Nein, nein, Señores!« rief ein vierter. »Keine Seemine! Sie schliefen wohl alle? Ich war wach. Spürte deutlich das Wanken des Bodens. Die Explosion muß auf der Insel selbst stattgefunden haben.«
»Sie haben geträumt, Señor Santana!« Barradas hielt inne, lauschte. »Ah, was ist das?« Er war aufgesprungen, fuhr in die Kleider, eilte zur Tür, legte das Ohr daran.
Die anderen starrten auf das Gesicht ihres Kameraden. Leise drängten sie näher an ihn heran.
»Man versucht, die äußere Tür zu öffnen? Ein Schneidbrenner! Ich höre das sprühende Zischen der Sauerstoffflamme.«
In der Totenstille der Kasematte vernahmen sie einen kurzen Schlag: Das herausgebrannte Schloß fiel zu Boden. Ein Krachen, ein Splittern - die Tür brach auf!
Das Gesicht Wildrakes tauchte vor ihnen auf. Sie stürmten auf ihn zu, wollten ihn umarmen. Er wich zurück. »Folgt so schnell wie möglich!«
Mit dem Indianer voraneilend, lief Wildrake zu der Bastion, wo die Mauer steil in die Tiefe fiel. Ein paar Minuten tödlicher Unsicherheit. Mußte doch einer nach dem anderen die schwankende Strickleiter, die über dem Abgrund hing, hinuntersteigen. Vierzig Meter vom Ufer entfernt schaukelte auf den Wellen eine große Flugjacht.
»Adelante, Señores! Wir müssen schwimmen!«
»Ich kann nicht!« schrie Santana.
Die anderen standen einen Augenblick zaudernd. Der Indianer, der schon ein Stück vorausgeschwommen war, drehte sich um, winkte.
»Schnell! Schnell!«
Alvarez und Calleja sprangen gleichzeitig ins Wasser.
»Nein, nein, Señor Santana! Sie sind zu schade, diesen Schurken wieder in die Hände zu fallen. Kommen Sie her! Ich bringe Sie sicher hinüber«, rief der Hüne Barradas, nahm die leichte Gestalt Santanas wie
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