Unsortiertes
Richter, umringt von einem eher
sportlichen Typ mit gepflegtem Dreitagebart und einer brünetten Dame mittleren
Alters, hatte schlohweißes Haar und trug Brille mit Goldrand.
Zu meiner Linken saß, inmitten zweier Anwälte, ein Mittfünfziger, der
aussah wie ein geschniegelter Versicherungsvertreter: Dickes Goldkettchen um
den Hals, das Hemd trug er offen, die Hände beringt wie einst die Gabor; zwei
uniformierte Beamte standen hinter ihm. Sein weiblicher Rechtsbeistand wirkte
normal, Alter nur sehr schwer schätzbar, das männliche Pendant hatte gegelte
Haare und einen Leberfleck auf der linken Wange; übergroße Koteletten gehören
verboten!
„Herr Kleeve, ich danke ihnen, dass sie der Ladung so kurzfristig Folge
leisten konnten. Im bisherigen Verlauf des Prozesses fiel ihr Name und sie sind
aufgrund eines Antrags der Verteidigung geladen worden.“ Der Vorsitzende
räusperte sich. „Kommen wir erst einmal zu ihren Personalien: Sie heißen Julius
Friedrich Kleeve, sind 44, Fotograf und wohnen in Düsseldorf. Verwandt oder
verschwägert mit dem Angeklagten Benedikt Hartenberg sind sie nicht?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, den Herren kenne ich überhaupt nicht.“
„Herr Kleeve, dass sie vor Gericht die Wahrheit sagen müssen, dürfte ja
bekannt sein. Sie würden sich strafbar machen, wenn sie hier die Unwahrheit
sagen, dazu müssen sie noch nicht einmal unter Eid genommen werden. Aber ich
mache sie jetzt schon darauf aufmerksam, dass sie immer dann die Aussage
verweigern können, wenn sie sich selber einer Straftat bezichtigen müssten.“ Er
wandte sich an die Protokollführerin: „§ 55.“
Nach der normalen Belehrung gleich der Hinweis auf das
Aussageverweigerungsrecht? Was sollte das? „Ich wüsste nicht, womit ich mich
strafbar gemacht hätte.“
Der bebrillte Robenträger überging meinen Einwand. „Herr Kleeve, der
Angeklagte Hartenberg behauptet jedoch, ein Bekannter von ihnen zu sein.“
„Es tut mir leid, ich weiß wirklich nicht, wo ich ihn hinstecken soll.“
Ich zuckte mit den Schultern.
Der Vorsitzende nahm seine Brille ab. „Der Angeklagte hat ausgesagt,
sie mehrmals in der Kölner Kneipe ‚Zum Treber‘ getroffen zu haben und später
auf einer Art Vernissage in Essen, in den Räumen der Diskothek Blue.“
„Bitte?“ Ich musste die Informationen erst einmal verarbeiten. Der
Treber war eine der ältesten Kölner Stricherkneipen, eigentlich kein
gewöhnlicher Aufenthaltsort von mir.
Der Weißhaarige spielte mit dem goldenen Teil in seinen Händen. „In
Essen hätten sie auch den Angeklagten mit dem späteren Opfer Enrico Jublinski
bekannt gemacht. Was sagen sie dazu?“
„Im Treber war ich nur zweimal, einmal zu den normalen Öffnungszeiten,
das andere Mal war es ein Shooting ohne Publikumsverkehr.“ Ich schaute den
Typen auf der Anklagebank noch einmal genauer an, aber ich wusste im Moment
wirklich nicht, wohin ich ihn hinstecken sollte. „Es mag sein, dass ich dem
Angeklagten im Blue auf einer Vernissage begegnet bin und wir da ein paar Worte
gewechselt haben, denn ich stelle dort öfters aus, der Besitzer ist ein guter
Bekannter von mir. Wenn sie das als Kennen definieren, dann kenne ich den
Angeklagten, aber zu meinem näheren Umfeld gehört er jedenfalls nicht. Wann
genau soll ich ihm denn Enrico vorgestellt haben?“
Der Herr in der Mitte blickte mich streng an. „Nach Auskunft des
Angeklagten Ostern 2007.“
„Ostern 2007?“ Ich kratzte mich am Kinn. „Da haben wir den Bildband mit
Enrico im Blue vorgestellt; es war, wenn man so will, eine reine
Verkaufsveranstaltung; es kommt immer gut, wenn das Modell bei solchen
Veranstaltungen auch persönlich anwesend ist. Da soll das gewesen sein?“
Die Brille mit Goldrand nickte. „Sie sollen ihn angepriesen haben wie
Sauerbier. Ausdrücke wie ‚geile Schnitte‘ und ‚heißer Feger‘ sollen gefallen
sein.“
„Moment! Es mag sein, dass ich Enrico so bezeichnet habe, aber er war
er auch wirklich ein scharfes Gerät!“ Ich atmete tief durch. „Seine Bilder
sprachen und sprechen für sich, er war ein Naturtalent vor der Kamera!
Anpreisen musste man ihn wirklich nicht.“
„Wie der Angeklagte sich ausdrückte, sie hätten …“ Der Vorsitzende
blätterte in seinen Unterlagen. „… ihm das spätere Opfer regelrecht
aufgedrängt.“
„Sorry, aber das kann überhaupt nicht sein! Auch wenn Enrico und ich
kein Paar waren, aber wir führten
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