Unsterbliche Bande
schätzte aber, dass er mindestens zehn Jahre alt war. Das Motorrad war neuer, eine schwarze BMW mit viel Chrom. Beth hatte keinen Schimmer, wie die Nummernschilder lauteten, aber das würde sich einfach herausfinden lassen. Sie nannte Lily die Kontaktdaten von Carly und John sowie die der anderen beiden Personen, die sie angerufen hatte. Außerdem hatte sie die Krankenhäuser angerufen, doch dort war niemand namens Sean Friar aufgenommen worden. Dasselbe galt für die Leichenhalle. »Du sagtest, er habe von eurem Termin gesprochen, als du ihn gestern Abend das letzte Mal gesehen hast.«
»Ja, ja. ›Wir sehen uns morgen‹, hat er gesagt. Solltest du nicht etwas unternehmen?«
»Das tue ich gerade. Weißt du, ob er in einer Beziehung lebt?« Beth hatte darauf beharrt, dass sie und Sean kein Paar waren.
»Tut er nicht.«
»Bist du dir sicher?«
»Wir sind Freunde, das hätte er mir gesagt.«
Lily bezweifelte nicht, dass Beth daran glaubte. »Hast du ein Foto von ihm?«
»Klar.« Beth hob ihr Handy, berührte das Display einige Male mit der Fingerspitze und streckte es ihr dann hin. »Da ist er ganz gut getroffen.«
Es war die Nahaufnahme eines Mannes in den Vierzigern mit von der Sonne blond gesträhnten Haaren und dunklen Augen. Weiß, glatt rasiert. Seine Nase und sein Grinsen waren beide leicht schief, was seinen ansonsten regelmäßigen Zügen eine anziehende Asymmetrie verlieh. Lily sank das Herz bis in die Magengrube, wo es unangenehm weiterpochte.
Rule beugte sich vor, um einen Blick auf den kleinen Bildschirm zu werfen. Er und Lily sahen sich kurz an. Das Foto hatte ihnen auch die letzte, wenngleich schwache Hoffnung genommen, dass Beths Sean Friar nicht der war, über den Lily eine Akte besaß.
»Schickst du es mir bitte?«, sagte sie und reichte Beth ihr Handy zurück.
»Was hast du jetzt vor?«
»Ich bin wegen eines Falles hier, also kann ich nicht – nein, warte, geh nicht gleich in die Luft. Ich nehme dich ernst, aber ich kann nicht alles stehen und liegen lassen und persönlich nach ihm suchen. Ich beauftrage jemanden damit.«
Beth machte ein zweifelndes Gesicht. »Du hast Leute, die du beauftragen kannst?«
»Ja.« Lily zückte ihr eigenes Telefon. »In diesem Fall die hiesige Zweigstelle des FBI . Es besteht die Möglichkeit, dass ein Zusammenhang mit, äh … einem Fall der Einheit besteht. Ich erkläre es dir gleich.« Sie suchte die Nummer heraus, drückte die Wahltaste und warf Rule dann einen Blick zu. »Und vielleicht einen deiner Leute für das Haus?«
Er nickte. »Wir sollten uns vergewissern, dass er nicht verletzt ist.«
Oder tot, aber diese Möglichkeit wollte keiner von ihnen beiden vor Beth erwähnen.
Cullen ergriff das erste Mal, seitdem er sich gesetzt hatte, das Wort. »Ich stelle mich mit Schlössern ganz geschickt an.«
Rule erhob sich. »Du bist eine zu verführerische Zielscheibe. Ich rede mit Scott. Er weiß, wer sonst noch das Schloss öffnen kann.«
»Ich bin schneller. Außerdem könnte es eine Verbindung geben.«
»Zielscheibe?«, sagte Beth, deren Blick zwischen ihnen hin und her flog. »Was meinst du damit?«
In der Zwischenzeit hatte Lily sich vorgestellt und nach Special Agent Bergman gefragt, mit der sie heute schon einmal auf dem Flug hierher gesprochen hatte. Sie kannten sich bereits. Es war Bergmans Büro gewesen, das die Überprüfung von Sean Friar vorgenommen hatte, als Lily das erste Mal seinem Bruder, Robert Friar, über den Weg gelaufen war.
Bergman willigte ein, sofort jemanden zur Untersuchung von Sean Friars Verschwinden abzustellen. Lily nannte ihr Beths Nummer und Adresse, den Rest der Daten würde sie ihr elektronisch übermitteln … in einer Minute. Zuerst musste sie etwas hinter sich bringen, vor dem sie sich fürchtete.
Rule stand in der Tür und sprach mit Scott. Cullen saß immer noch auf dem Hocker. Beth stand stocksteif da und starrte Cullen an.
»Was soll das heißen: Jemand will dich entführen?«
»Oder mich töten«, sagte Cullen gut gelaunt. »Wir wissen nicht, was von beidem, aber es ist wohl wahrscheinlicher, dass man mich als Geisel will.«
»Aber … aber …«
Sie fuhr zu Lily herum. »Jemand will Cullen entführen, und jemand hat schon Sean entführt, also –«
»Meine Güte.« Lily hielt beide Hände in die Höhe. »Wir wissen nicht, was deinem Freund zugestoßen ist. Von ›Ich weiß nicht, wo er ist‹ zu ›Er wurde entführt‹ ist es ein großer Sprung.«
»Hat jemand versucht, Cullen zu entführen?
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