Unsterbliche Gefährten - das böse Blut
her um ihn frei zu bekommen und horche wieder in mich hinein. Die Leere ist weg – Zum Glück. Der Hass ist noch da. Aber im Moment ist er ein weit entferntes dumpfes Pochen. Damit kann ich leben.
Ich erhebe mich und gehe zur Küche.
Der Inhalt des Umschlages liegt verstreut auf der Arbeitsplatte.
Ich überfliege den Anfang der Information – die persönlichen Daten kenne ich schon – und gehe direkt zu den aufgeführten Taten:
Angefangen mit kleineren Ladendiebstählen und Vandalismus. Dann wird die versuchte Tat vor zwei Jahren erwähnt – also wusste man doch die ganze Zeit davon, das ich Dennis damals von dem Einbruch abgehalten hab – wie konnte ich nur so naiv, so dumm sein.
Fast ein Jahr herrschte Ruhe um ihn, dann ging es wohl Schlag auf Schlag mit Raubüberfall, Erpressung, schwerer Körperverletzung, wieder Raubüberfall, Totschlag und sogar einem Mord weiter. Mein Söhnchen war in einem Jahr wirklich sehr fleißig, das musste man ihm lassen.
Er ist genau der Kandidat, den Frank früher auf unsere wilden Wochenendpartys eingeladen hätte. Eine kleine Tankstelle für Vampire, ein Taugenichts und Dummkopf, den keiner vermissen würde.
Ich werfe einen kurzen Blick auf die handgeschriebene Notiz. Wie immer steht da Datum, Uhrzeit und der Ort, an dem er sich befinden wird. Der Ort ist wieder unten am Fluss, diesmal das Gebäude Nummer 2. Das Datum ist das von Übermorgen und die Uhrzeit ist zwölf Uhr Mittags.
Niemals habe ich einen Auftrag für tagsüber erhalten, immer spielte sich meine Jagd nachts ab – immer.
Nur, das hier sowieso alles anders ist.
Ich blicke Justin an. „Wo sind das Foto und der Stofffetzen?“, frage ich ihn gelassen. Seine Augen blicken gehetzt hin und her, er sieht gestresst aus.
„Die hab ich ins Klo geworfen. Du wirst sie nicht brauchen.“
Ich blicke ihn grimmig an, aber gleichzeitig verstehe ich, was er meint. Ich brauche kein Foto um mich an das Aussehen meines Sohnes zu erinnern. Ich brauche auch keine Geruchsprobe, um seinem Geruch zu folgen. Er hat natürlich Recht.
Ich suche Justins Blick, suche die unergründlichen, tiefen Brunnen um mich darin ein bisschen zu verlieren, um diesen Alptraum, in dem ich mich befinde, kurz zu vergessen. Ich fühle mich so allein, mir ist nach ein wenig Gesellschaft.
Er erwidert meinen Blick, schaut mich von unten her an. Zuerst misstrauisch, dann glättet sich sein Gesicht und er tritt an mich heran. Nur wenige Zentimeter trennen unsere Körper voneinander. Mir genügt das schon, sein Geruch, seine Wärme, die sein Körper abstrahlt, das Rauschen seines Blutes. All das genügt mir, all das hilft mir schon. Ich hätte ihn gerne umarmt, hätte mich gerne von ihm umarmen lassen. Ich befürchte aber, das sich die Situation dann wieder verselbstständigt. So genieße ich mit geschlossenen Augen nur seine Nähe.
Ich beruhige mich tatsächlich etwas. Jetzt kann ich langsam wieder klar denken.
„Justin, hast du davon gewusst?“, frage ich ihn leise.
Er atmet scharf ein und packt mich an meinen Schultern. Seine Augen nageln meine fest.
„Tascha, natürlich nicht, wie kannst du nur so etwas denken.“ Er lässt seine Arme sinken und fügt leise hinzu: „Ich dachte, du vertraust mir ein bisschen.“ Traurigkeit liegt in seiner Stimme. Ich schließe meine Augen wieder.
Ich ihm vertrauen, überlege ich und atme Justins Geruch tief ein. Wie kommt er darauf, dass er mein Vertrauen gewonnen hat. Ganz in Gedanken lege ich meine Stirn in Falten.
Leise sage ich: „Der letzte, der mein Vertrauen hatte, war Frank. Wohin das geführt hat sieht man ja.“ Wieder packt Justin mich an den Schultern und dreht mich zu sich hin.
„Tascha.“ Ich öffne meine Augen und sehe tiefe Brunnen vor mir – ganz nah vor mir. Ich ihm vertrauen, überlege ich wieder. Ich bin so nah bei ihm, das ich in seinen Augen mein Spiegelbild erkennen kann. Plötzlich wird mir klar, dass ich ihm wirklich vertraue, mehr noch. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Hammerschlag.
„Tascha“, sagt Justin wieder. Er hat wohl bemerkt, das mein Blick abwesend und durch ihn durch gegangen ist. Ich blinzele einmal und bin wieder in der Wirklichkeit angekommen.
„Ja?“, hauche ich
„Ich würde dir niemals wehtun, Tascha.“ Er nimmt mein Gesicht in seine warmen Hände und küsst mich flüchtig auf die Lippen. Für einen längeren Kuss reicht sein Vertrauen in meine Beherrschung wahrscheinlich nicht aus. Dann umarmt er mich.
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