Unsterbliche Leidenschaft
Beim dritten Mal schloss sich sein Mund. Sie spürte ein ungemein sanftes Knabbern, kurz bevor ihr Bewusstsein Flügel bekam und ihr Körper sich hingab. Blut und Leidenschaft flossen ungezügelt. Aufgestaute Ekstase entlud sich in einem Inferno der Lust. Sie sah keine Sterne, sie war mitten unter ihnen, flog, um das Licht des Universums in ihrem Geist zu sammeln und in ihrem Herzen zur Erde zurückzutragen. Feuer loderte in ihrem Körper, und durch ihr Bewusstsein hallte ein Jubelchor, während sie sich, in einer dunkel lodernden Glut schwebend, in einem Vampirkuss verlor. Wie von weit her erklang ein entferntes Aufseufzen, als sich seine Zunge sanft auf ihre pochende Halsschlagader legte.
»Tom!«, sagte sie kaum hörbar ausatmend; mehr vermochte sie nicht.
Seine Arme hielten sie fest umfangen, während der Nachhall der Lust langsam in dem warmen Gefühl intensiver Befriedigung verebbte. »Meinst du, du kannst gehen?«
»Ich weiß es nicht. Was soll’s.« Sie wusste nicht einmal genau, welcher Wochentag war.
Dennoch konnte sie aufstehen. Gestützt von seinem Arm, schaffte sie es über das feuchte Gras zum Ausgang und zur Straße hinunter. Tom führte sie durch eine Wohnstraße, an einem alten Gebäude links und der Kirche rechts vorbei, einen schmalen Fußweg entlang und ein paar Stufen abwärts, bis sie schließlich am unteren Ende der High Street herauskamen. Bis zum Royal Oak waren es nur noch wenige Meter.
Columbus, Ohio. Am selben Tag
»Marlowe? Hallo! Hier ist Vlad Tepes.« Kit Marlowe biss die Zähne zusammen. Zwar hatte sich Vlad im letzten November als Gentleman erwiesen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er diesen Vampir ins Herz geschlossen hatte.
»Hallo.« Möglichst wenig zu sagen und sich auf nichts festzulegen war eine gute Taktik im Umgang mit Dracula.
»Ich rufe an, weil ich um einen Gefallen bitten will.«
Hätte er sich doch gleich denken können! »Was meinst du denn, dass ich für dich tun kann, Vlad?« Dixie hätte ihm vorgeworfen, er sei unwirsch. Gut, dass sie außer Haus war.
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich befinde mich auf dem Weg nach Columbus. Aller Voraussicht nach bin ich in ein paar Stunden da. Ich muss dich sprechen.«
Sehr gut, dass Dixie nicht da war. Sie würde ihn sofort einladen, zum Tee zu bleiben oder zu einem Gläschen A-Positiv. »Wir können uns treffen. Steigst du wieder im Southern ab?«
»Das werden wir, ja.«
Kit fiel auf, dass er in der Mehrzahl gesprochen hatte. »Wir?« Hatte er etwa vor, mit seiner Kolonie dort einzuziehen?
»Ja. Lass es mich dir erklären. Kurz. Es ist … ungewöhnlich.«
»Verstehe.« Das war geschummelt. Er hatte nichts kapiert, aber Vlad Tepes nicht zu verstehen war alles andere als neu.
»Ich habe eine Sterbliche bei mir – eine Menschenfrau.«
Ein Freudenmädchen als Reisebegleiterin? Wie sich Gwyltha damit abfand, würde er nie begreifen. »Interessant.«
Aus der Leitung kam ein knappes, trockenes Lachen. »In der Tat interessant, Marlowe, aber nicht so, wie du denkst. Diese Sterbliche ist Janes Mutter.«
Das nannte man »eine Bombe platzen lassen«. Kit hätte gerne tief Luft geholt. Da er das nicht mehr konnte, schüttelte er ersatzweise den Kopf und reckte den Hals. »Wirklich?« Sie musste es sein; nur aufgrund einer Einbildung würde Vlad Dracula nicht über sechs Stunden Fahrzeit in Kauf nehmen.
»Davon bin ich überzeugt. Ihr Name ist Adela Whyte. Ihre 25-jährige Tochter ist verschwunden, exakt drei Tage bevor ich meine beiden Ghule gefunden habe. Ich bin in ihrem Haus gewesen. Die Mauern dort riechen auch nach dieser langen Zeit noch immer nach Angst, Schrecken und Vampir.«
»Jemand aus deiner Sippe?«
»Wenn dem so wäre, würde ich ihn auslöschen. Für immer. Nein, das war ein Abtrünniger, möglicherweise eine Bedrohung für uns alle.«
Schlechte Neuigkeiten. Sehr schlechte sogar. Gerade nachdem sich das Gerede vom letzten November gelegt hatte. Wo sie wohnten, waren Regengullys und die Kanalisation dringendere Probleme als Monster mit Fangzähnen. »Hältst du es für möglich, dass er hier aufkreuzt?«
»Wer weiß das schon? Scheint so, als sei er – oder sie – untergetaucht, aber wir wissen ja beide, wie leicht man sich verstecken kann, wenn man will.«
»Was ist, wenn Jane gar nicht die Tochter dieser Frau ist? Sie kann unmöglich die einzige 25-Jährige sein, die vermisst wird.«
»Stimmt, aber ich habe – jetzt einmal abgesehen vom Zeitrahmen und dem Zustand des Hauses – ein
Weitere Kostenlose Bücher