Unsterbliches Verlangen
unvorstellbar, dass emand dich nicht lieben könnte, obwohl du eine ziemliche Landplage sein kannst.«
Sie drückte den Arm ihres Vaters und lehnte sich an ihn. Hemmungslos zu schluchzen täte ihr jetzt gut.
»Ich habe gelogen, Papa. Ich sagte, ich hätte mein Los akzeptiert, aber das habe ich nicht, nicht ganz. Ich bin immer noch nicht bereit zu sterben.«
»Mein liebes Kind, ich bin nicht bereit, dich zu verlieren. Ich würde auf der Stelle mit dir tauschen, wenn der Herr mich ließe.«
Das brach ihr fast das Herz. »Er wird nicht, und ich würde es auch nicht zulassen.«
In der Einfahrt stand der Daimler für sie bereit, als sie aus dem Haus traten. Einige Meter von dem Automobil und dem Diener entfernt, der daneben wartete, um ihnen beim Starten zu helfen, blieb ihr Vater stehen und wandte sich zu ihr.
»Ich verstehe nichts von diesen Dingen, aber Caroline ... deine Schwester schien zu denken, dass Chapel dich eventuell hellen könnte. Ist das wahr?«
Wie hoffnungsvoll er klang - und wie wehmütig! Tränen brannten in Prus Augen und verschleierten ihr die Sicht. »Er könnte, aber es würde mich zu einem Vampir machen, Papa. Ich wäre nicht mehr menschlich. Ich wäre wie Chapel.«
Offenbar bereitete ihm das keine Sorge. »Ich weiß, und meiner Ansicht nach überwiegen die Vorteile die negativen Aspekte bei weitem.«
Pru seufzte. Sie hasste es, ihrer Familie die Situation erklären zu müssen. Sie hasste es, sie enttäuschen zu müssen. »Chapel hält sich selbst für ein Monstrum. Er würde lieber sterben, als mich dazu zu machen.«
»Monstrum?«, wiederholte er sichtlich erbost. »Aber er ist ein Held!«
Das war eine Betrachtungsweise. »Nicht in seinen Augen.«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Unfug!«
Pru zuckte mit den Schultern, um den Schmerz abzuschütteln. Ein winziger Teil ihres Herzens wollte glauben, dass Chapel sie hinreichend lieben könnte, um seine Überzeugungen in den Wind zu schreiben und sie zu verwandeln, damit sie zusammen sein könnten - weil er ohne sie nicht weiterleben wollte.
Offenbar war dieser winzige Teil ein Idiot. Sie bedeutete ihm nicht genug, dass er seine Ansichten verwarf, und schon gar nicht würde er erkennen, wie dumm sie waren. Er war ein Dickkopf, der bereitwillig eine Zukunft mit ihr aufgab, weil er sich selbst als weniger wert erachtete als einen Menschen.
»Ich werde mit dem Burschen reden müssen«, sagte ihr Vater entschlossen.
»Nein, Papa!« Ihr war egal, wie weinerlich sie klang. Sie würde sogar schmollen und mit dem Fuß aufstampfen, würde es etwas nützen. »Du kannst ihn nicht umstimmen.«
Ihr Vater indessen wollte nicht klein beigeben. »Ich kann es wenigstens versuchen.«
Bevor Pru ihm widersprechen konnte, führte er sie zur Fahrerseite des Daimlers, wo der Diener ihr die Tür aufhielt. Und weil sie das Gespräch vor dem Diener nicht fortsetzen wollte, musste sie schweigen, bis sie die Einfahrt hinuntergefahren waren.
Aber selbst dann weigerte ihr Vater sich, weiter mit ihr darüber zu reden, und sagte ihr, sie solle sich aufs Fahren konzentrieren. Sie tat es - oder versuchte es zumindest. Und tatsächlich dauerte es nicht lang, ehe alle Gedanken an die vorherige Unterhaltung in den Hintergrund rückten. Wenn sie fuhr, fühlte sie sich jedes Mal so frei, und ihr Vater lobte sie sogar! Warum sollte sie da an irgendetwas anderes denken?
Kaum jedoch waren sie eine Stunde später wieder zu Hause, kehrten ihre Gedanken wieder zu den Worten ihres Vaters zurück. Eine Fortsetzung des Gesprächs ergab sich allerdings nicht, da gleich darauf Gäste für ihren Vater eintrafen. Pru müsste also warten, bis sie ihm das Versprechen abringen konnte, nicht mit Chapel zu reden. Und sie hoffte inständig, dass er in der Zwischenzeit nicht beschloss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Das Mindeste, was sie tun konnte, war, Chapel zu warnen, dass ihr Vater ihn mit dem Thema überfallen könnte. Er wäre gewiss nicht begeistert, wenn Thomas Ryland sich in Dinge einmischte, von denen er nichts verstand. Nicht einmal Pru verstand sie, und sie war in den Mann verliebt. Es fiel ihr schwer, zu begreifen, dass ein Mann, der für sie nichts außer wundervoll, liebevoll und mutig war, sich selbst für unmenschlich und monströs hielt.
Im Grunde war das eher ein sehr menschlicher Zug an ihn. Er hatte nicht aufgehört, menschlich zu sein, er war einfach nur mehr. Warum musste er sich selbst schlecht machen? Lag es an der Zeit, in die er hineingeboren worden war?
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