Unsterbliches Verlangen
all seine Kraft gekostet, den Freund aufzuhalten.
Temple würde eher sterben, als sich auf diese Weise an jemandem zu vergehen, das wusste Chapel genau. Aber er könnte sich auch bewusst hungrig halten, um seine Sinne und seinen Instinkt zu schärfen. Das würde ihm einen nützlichen Vorteil verschaffen, falls Mächte ihn bedrohten, die den Kelch wollten. Und es war ein furchtbarer Nachteil für alle, die ihm zufällig über den Weg liefen. Wie er reagieren würde, wenn er von einer Gruppe menschlicher Schatzjäger entdeckt wurde, ließ sich schwerlich erahnen.
Molyneux hatte Chapel überredet mitzukommen, indem er behauptet hatte, er allein könnte sich Temple entgegenstellen. Und so recht er haben mochte, drängte sich doch zugleich die Frage auf, wer die Unschuldigen vor Chapel beschützte. jemand könnte zu Schaden kommen, wenn seine Selbstbeherrschung versagte. Ganz zu schweigen davon, dass es zwangsläufig auffallen würde, wie selten er sich bei Tage sehen ließ und dass er die Sonne mied wie die Pest.
Seit wann hatte er die Sonne nicht mehr gesehen oder ihre Wärme auf seinem Gesicht gespürt? Lange genug, dass sie ihm nicht mehr fehlte. Vielmehr war ihm, wann immer er an sie dachte, als hätte er sie noch niemals am eigenen Leib gefühlt.
Und nun war hier Prudence Ryland, so hell und warm, wie es sich die Sonne nur erträumen konnte. Allein neben ihr zu stehen war, als würde Chapel sein Gesicht in die mittägliche Julisonne halten. Die Hoffnung, die sie ausstrahlte, war gleichermaßen tröstlich wie schmerzlich eine Erinnerung an alles, was er verloren hatte.
Nein, das stimmte nicht. Er hatte die Hoffnung nicht verloren. Seinen Glauben vielleicht, aber nicht seine Hoffnung. Er hatte sich von der Kirche zum Objekt machen, wie ein Tier untersuchen und erniedrigen lassen. Sogar ihr Brandmal hatte er sich von ihnen ins Fleisch brennen lassen: ein Kreuz auf seiner rechten Schulter. Das Versengen mit dem heißen Silber war schlimmer gewesen als alles, was er je zuvor hatte aushalten müssen, und das heilige Symbol brannte und juckte bis heute. Es war das einzige Mal, seit er ein Vampir geworden war, das nicht wieder heilte. Aber hatte es etwas zu seiner Seelenrettung beigetragen? Das war zu bezweifeln.
Seine Hoffnung war nicht verloren. Sie war tief in seinem Innern vergraben gewesen, bis Prudence Ryland ihm zeigte, dass dieses Grab weniger tief war, als er einst gedacht hatte.
Sein Drang, sie zu beschützen, erschreckte ihn. Als sie ihn berührt und ihn gefragt hatte, ob er über Dreux' Tod sprechen wollte, hatte er einen bis dahin unvorstellbaren Schmerz empfunden. Es war, als würde ihm das Herz entzweibrechen. Was kümmerte sie die Pein eines Fremden?
Er schwor, nicht zuzulassen, dass Liliths Fluch sie verdarb.
Nicht jeder, der vom Blutgral verflucht wurde, musste wie Temple oder Chapel werden - nicht einmal wie Bishop, wenn man es genau bedachte. Andere sahen den Fluch als Mittel, ihre Macht zu befördern, wie Reign. Oder sie gaben sich vollständig der Finsternis in sich hin, was Saint getan hatte. Nach all den Jahren tat es immer noch weh, dass sein Freund sich von ihnen abwandte, um das zu genießen, was er geworden war.
Chapel wollte sich der Dunkelheit nicht ergeben, ganz gleich, wie sehr sie aus seinem tiefsten Innern nach ihm zu rufen schien und ihn drängte, seiner wahren Natur zu gehorchen.
Er wollte nicht verantwortlich sein, falls dieselbe Finsternis sich Prudences bemächtigte.
Überhaupt wollte er für gar nichts verantwortlich sein, wie er Molyneux gesagt hatte, bevor sie Frankreich verlassen hatten. Sollte er versagen, wären die Folgen viel zu verheerend.
»Wenn ich jemanden töte«, hatte Chapel den Priester gewarnt, während er auf den alten Eckschrank zugegangen war, »wird dessen Blut an deinen Händen kleben.«
Der alte Mann hatte finster den Kopf geschüttelt. »Non, mon ami. Das Blut wird an deinen Lippen sein, und das könnte nicht einmal Gott dir vergeben.«
Daraufhin war Chapel maßlos wütend geworden. Sogar sein Herz hatte angefangen, heftig zu pochen, sein Fleisch zu erhitzen und seinen Hunger zu erregen. Er hatte gefühlt, wie seine Eckzähne aus dem Kiefer traten, seine Augen heißer zu werden schienen und seine Haut kribbelte. Blitzschnell hatte er mit der Faust ausgeholt und sie durch die Kellerwand getrieben, wieder und wieder. Bis zur Schulter hatte er sich durch die Steine, den Mörtel und den Lehm gegraben.
Molyneux war so erschrocken aufgesprungen, dass
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