Unsterbliches Verlangen
Falte bildete. Wer hätte gedacht, dass der Mann so unbeschreiblich gut aussehen konnte, wenn er die Stirn runzelte?
Meine Güte, jetzt vernebelte ihr der Schmerz auch noch den Verstand!
»Wo tut es weh, enfant?«
Auch er hatte einen reizenden Akzent - weniger stark als Pater Molyneux und anders , als wäre die Art, wie er sprach, von mehreren Kulturen beeinflusst worden.
»Ich bin kein Kind«, ächzte Pru, erlaubte ihm aber dennoch, sie in seine warmen Arme zu schließen. Sie hasste es, wenn man Aufhebens um sie machte, und doch fühlte sie sich in seiner Umarmung herrlich sicher.
Prudence beantwortete seine Frage nicht, und Chapel verzichtete darauf, sie zu wiederholen. Bei Gott, wenn er daran dachte, wie wenig gefehlt hatte, dass er sie verletzt hätte ...
Er hatte nicht erwartet, dass jemand an seine Tür klopfen würde. Inzwischen dürfte Pater Molyneux allen von seiner seltsamen »Krankheit« erzählt haben, was reichen sollte, sie davon abzuhalten, ihn zu stören. Allerdings hätte er ahnen müssen, dass eine Frau, die keinerlei Hemmungen hatte, mit ihm im Nachthemd durch die Dunkelheit zu spazieren, auch keine Scheu hätte, vor seiner Tür aufzutauchen.
Nein, sie war nicht einfach aufgetaucht. Ein kurzer Blick auf die Bücher, die um sie herum verstreut lagen, ergänzte den Rest der Geschichte. Es waren sämtlichst welche über Tintagel und Artus. Er musste kein Genie sein, um sich zu denken, dass sie ihm den Lesestoff zusammen gesucht und hergebracht hatte, auf dass er sich die Zeit vertreiben könnte.
So närrisch und freundlich war die kleine Prudence, und sie von solch schrecklichen Schmerzen gepeinigt zu sehen, brach ihm das Herz.
Ihr Klopfen hatte ihn geweckt, und sogleich war der Dämon in ihm gewahr geworden, dass es Tag und er in Gefahr war. Seine ungezähmte, auf Selbstschutz ausgerichtete Seite übernahm, und der Instinkt blockierte jede Vernunft. Er war bereit gewesen, mit Zähnen und Klauen um sein Leben zu kämpfen, aber als er Prudence auf den Knien vor sich sah, das unvorstellbare Leid in ihrem Gesicht, war der Dämon so friedlich und sanft geworden wie ein verängstigtes Kind.
Er hob sie in seine Arme und stand auf. Für ihn wog sie gleichsam nichts. Sie war so blass und ihr Gesicht schweißbenetzt vor Schmerz. Das konnte kein einfacher Sturz bewirkt haben.
»Wo ist Ihr Zimmer?« Er würde sie irgendwo hinbringen, wo sie es bequem hatte, und dann nach den Bediensteten läuten.
»Ostflügel«, antwortete sie spürbar angestrengt, »das dritte links.«
Gott sei Dank war der Korridor sehr gedämpft, als Chapel ihn entlangeilte, da sich die einzigen Fenster an den jeweiligen Enden befanden. Und zum Glück schien Prudence zu abgelenkt, um zu bemerken, dass er viel schneller ging, als er eigentlich sollte, oder sie mit einer Leichtigkeit trug, als wöge sie so wenig wie ein Kätzchen.
Überdies war Chapel froh, dass Rosecourt zwar ein großes Anwesen war, jedoch bei weitem nicht so monströs wie manche Adelshäuser, weshalb der Weg zum anderen Flügel eher kurz war. Chapel hielt sich so nahe an der Wand wie möglich, um dem Tageslicht auszuweichen. Es war kein sonniger Tag, und dennoch fühlte er die Hitze auf seinem Gesicht und seinen Händen, sobald er den Treppenaufgang erreichte, während der Rest von ihm durch Kleidung geschützt wurde.
Der Ostflügel war dem westlichen gleich und ebenso dunkel - dem Himmel sei Dank. Fast sofort kühlte seine Haut wieder ab und brannte nur ein klein wenig.
Warum hatte er nicht von seinem Zimmer aus nach Hilfe geläutet? Wieso musste er sich heroisch geben und damit riskieren, dass man sein Geheimnis lüftete? Er bettelte ja geradezu um Schwierigkeiten.
»Danke.« Prus Augen waren zur Hälfte von ihren dichten Wimpern verschleiert, als sie zu ihm aufsah. »Es muss unangenehm für Sie sein, sich im Hellen aufzuhalten.«
Was? Chapels Herz war wie zusammengeschnürt. Woher wusste sie ...? Ach ja, natürlich. Molyneux hatte ihr die Geschichte erzählt.
»Das macht nichts.« Eine weitere Lüge würde nicht schaden, vor allem, wenn sie ihr ersparte, sich schuldig zu fühlen.
Er blieb an der dritten Tür links stehen, verlagerte Prudences Gewicht auf einen Arm und griff nach der Klinke.
In diesem Moment riss sie die Augen auf. »Warten Sie!«
Chapel erstarrte. »Was ist?«
Statt ihn darauf hinzuweisen, dass er ein Monstrum war, betrachtete sie ihn mit einer Mischung aus Angst und Schmerz. »Sie können da nicht reingehen.«
Er rang sich ein
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