Unsterbliches Verlangen
zu.
»Miss Ryland, wie reizend Sie heute Morgen aussehen! Ich hoffe, Sie sind wieder vollständig genesen.«
Chapel musste es ihm erzählt haben. Seltsamerweise ärgerte es sie weniger, als dass es ihr das Herz wärmte. Der arme Mann war wirklich besorgt gewesen. Dafür sollte sie ihm heute Abend danken.
»Bin ich, Pater, vielen Dank. Darf ich ein Stück mit Ihnen gehen?«
Er schien aufrichtig von dem Vorschlag angetan. »Aber selbstverständlich gern! Mein Freund Chapel berichtete mir von Ihren wunderschönen Rosen, da dachte ich, ich sollte sie mir einmal ansehen. Möchten Sie mir die Ehre erweisen, mich ein wenig herumzuführen?«
»Mit Freuden!« Sie nahm den Arm, den er ihr bot, und fragte sich, wie gut Chapel ihre Rosen kennen mochte. Hatte er ihr die eine von einem Bediensteten schneiden lassen und von ihr auf die übrigen geschlossen, oder war die vollkommene Blüte von ihm selbst ausgesucht worden? Höchstwahrscheinlich hatte er einen Bediensteten beauftragt, und doch malte sie sich lieber aus, wie er kurz nach Sonnenuntergang in den Garten ging und im spärlichen Mondlicht herumsuchte, bis er die Blume fand, die er wollte.
Welche Frau würde das nicht eher glauben wollen?
»Ich bin so froh, dass ich Sie gefunden habe«, sagte Pru, als sie durch den Garten spazierten. »Eben waren wir bei den Ausgrabungen, und Marcus hat einen Treppenabgang entdeckt. Er hofft, den Eingang zum Keller in spätestens zwei Tagen freigelegt zu haben.«
»So bald?« Pater Molyneux sah ehrlich erstaunt aus. Aber da war noch ein anderer Ausdruck in seinem Gesicht. War das Furcht? Wie merkwürdig.
»Ja, ist das nicht aufregend?«
»Furchtbar.« Pru war nicht sicher, in welchem Sinne er es meinte - im positiven oder negativen.
»Verzeihen Sie, Pater, aber Sie scheinen mir weniger erfreut, als ich erwartet habe.«
Er schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln - eines, wie es nur Männer zustande brachten, die ganz in sich selbst ruhen. »Ich versichere Ihnen, meine teure Lady, dass meine Freude grenzenlos sein wird, sollte der Gral sich in dem Keller befinden.«
Jetzt ergab alles einen Sinn. »Folglich sind Sie nicht überzeugt, dass wir den richtigen Ort gefunden haben.«
Er schüttelte den Kopf. »Es hat weder mit Ihnen noch mit Mr. Grey zu tun, doch ich sah schon so viele solche Exkursionen und erlebte die Verzweiflung, wenn sie erfolglos blieben.«
Bei aller Freundlichkeit wirkte er klug und weise , dass Pru unweigerlich den Blick abwandte. Sie wollte nicht daran denken, dass sie scheitern könnten - noch nicht.
»Aber diese könnte erfolgreich sein.«
Er tätschelte ihr die Hand. »Oui.. Und ich hoffe für Sie, dass sie es sein wird. Trotzdem möchte ich Sie bitten, vorsichtig zu sein, Miss Ryland.«
»Vorsichtig? Inwiefern?«
»Verliese oder andere Räume, die versteckt wurden, sind es oft aus einem bestimmten Grund. Gehen Sie auf keinen Fall allein hinein, sondern nehmen Sie mich oder Chapel mit. Ich möchte Ihnen keine Angst machen, doch er und ich kennen die Fallen, mit denen zu rechnen ist.«
»Fallen?« Marcus hatte nichts von Fallen oder Gefahren erwähnt.
Pater Molyneux musste ihr angesehen haben, wie unglücklich sie war, denn wieder klopfte er ihr beruhigend auf die Hand. »Ich bin sicher, dass Mr. Grey all das auch gründlich erforscht hat. Dennoch wäre mein altes Herz beruhigt, wenn Sie zustimmen, einen von uns mit hinein, zunehmen.«
Es schien keine vermessene Bitte, zudem Marcus und seine Männer sowohl dem alten Priester als auch Chapel kräftemäßig überlegen wären, falls sie versuchen sollten, ihnen den Gral wegzunehmen.
»Ich werde es mit Mr. Grey besprechen, aber ich wüsste nicht, warum Sie uns nicht begleiten sollten, Pater.«
Er lächelte so freundlich und liebenswert, dass es Pru schwerfiel, ihm böse Absichten zu unterstellen. »Ich danke Ihnen, meine Liebe. Ah! Wie ich sehe, sind wir bei den Rosen angekommen. Quelle beauté!«
Seine Verzückung war ihm deutlich anzusehen, als er sie losließ und näher an die Sträucher herantrat, um die Blütenpracht zu bewundern. Während Pru ihn lächelnd beobachtete, konnte sie nicht umhin, seine vorherige Warnung als beunruhigend zu empfinden.
Noch beunruhigender allerdings war, dass sie, sollte in dem Keller irgendeine Gefahr lauern, unbedingt Chapel bei sich haben wollte.
»Wie geht es ihr?«
Pater Molyneux, der Chapel gerade den Abendgehrock bürstete, hielt inne. Aus unerfindlichen Gründen schien es dem alten Priester Freude zu
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