Unsterbliches Verlangen
nickte. »Sie schläft, aber ich wüsste nicht, was dagegen spräche, dass ihre Schwestern bei ihr sitzen.«
Die drei Frauen tauschten nicht einmal Blicke. Es war, als wüssten sie schlicht, dass sie alle an Prus Bett sitzen wollten. Leise gingen die drei gemeinsam ins Zimmer. ja, sie waren-sich wortlos einig, so wie es einst Chapel und seine Gefährten gewesen waren. Auch bei ihnen hatte es keiner Absprachen, keiner Blicke bedurft. Sie hatten instinktiv gewusst, was die anderen dachten. Um diese Nähe beneidete er die Schwestern, denn er hatte sie seit sehr langer Zeit nicht mehr erlebt - nicht bis zu jener Nacht, als er Temples Anwesenheit bei der Ausgrabung gefühlt hatte.
Er sah den Schwestern nach. Sie würden über Pru wachen und dafür sorgen, dass sie es bequem hatte, nicht er. Es gab keinen Grund, warum er bei ihr sitzen sollte, doch er wollte es. Er wollte beobachten, wie sie atmete, sich vergewissern, dass sie noch atmete.
Bei Gott, Molyneux hatte recht! Er musste sich mehr unter Menschen begeben, wenn er inzwischen schon so reagierte, sobald er mit dem Tod konfrontiert wurde. Ausgerechnet er, der reichlich getötet hatte, Menschen wie Tiere! Pru Ryland würde sterben und an einen besseren Ort gehen. Und lange nachdem ihre Gebeine zu Staub zerfallen waren, wäre er immer noch da.
Ihm wurde speiübel.
Er entschuldigte sich und floh die Treppe hinunter, so schnell er konnte, ohne Fragen zu provozieren. Molyneux und Marcus eilten ihm nach.
Unten im Salon schenkte Chapel sich eine großzügige Portion Whiskey ein. Molyneux wollte nichts, doch
Marcus nickte, als Chapel ihn fragend ansah. Er brauchte wohl ebenfalls einen Drink.
Nachdem die drei Männer sich gesetzt hatten, wandte Chapel sich wütend an Marcus. »Sie haben davon gewusst?«
Der junge Mann schien von seinem Zorn überrascht. »Von Pru? Ja, ich wusste es. Ich weiß es, seit wir uns erstmals begegneten.«
Das musste es gewesen sein, was Grey zuvor schon angedeutet hatte. »Und Sie haben mir nichts gesagt. Warum nicht?«
»Es ist nicht Ihre Angelegenheit.«
»Nicht meine Angelegenheit?« Das dicke Glas knirschte gefährlich in seiner Hand, so sehr umklammerte Chapel es. »Und wieso nicht?«
Marcus zuckte mit den Schultern. »Sie wollte nicht, dass Sie oder Pater Molyneux es wissen. Das ist nicht persönlich gemeint, sie mochte es einfach nicht, dass irgendjemand es wusste. Sie sagte, die Leute behandelten sie anders, sobald sie es herausfanden. Wie ist es mit Ihnen, Mr. Chapel? Werden Sie sie nun anders behandeln?«
Etwas in dem Ton des jungen Mannes verriet ihm, dass es eine Fangfrage war. Ja. »Nein.«
»Sie mögen Sie, das sehe ich.«
Nun begann das Whiskeyglas zu knacken. Chapel stellte es auf den Tisch. »Was ich von Pru halte, ist nicht Ihre Angelegenheit.«
Wieder zuckte Marcus bloß mit den Achseln. Er wirkte älter als sonst. Oder vielmehr sah er ausnahmsweise so alt aus, wie er wirklich war. »Das ist Unfug, und Sie wissen es. Pru ist meine Freundin, Sie aber sind bloß ein Vampir, der hergeschickt wurde, um dafür zu sorgen, dass sie nicht findet, was sie vor einem qualvollen Tod bewahren könnte.«
Molyneux rang hörbar nach Atem und sah zu Chapel, der jedoch das Gesicht abwandte.
Marcus hatte natürlich recht - so schmerzlich es war aber das hielt Chapel nicht davon ab, ihm die Kehle herausreißen zu wollen. Ein tiefes Knurren stieg in seinem Brustkorb auf, und er fühlte, wie seine Beherrschung kurzzeitig nachließ und der Drang stärker wurde, sich auf den anderen zu stürzen.
»Sie bewahren?« Er hob das Kinn und sah Marcus in die Augen. »Ist es das, was Sie ihr wünschen? Einen inneren Dämon, der nach Blut verlangt? Möchten Sie, dass ihr die Sonne verwehrt ist wie auch die himmlische Erlösung? Möchten Sie wirklich den Rest Ihrer Freundschaft damit verbringen, sich zu fragen, ob sie irgendwann der Versuchung nachgibt und herausfindet, dass Sie ebenso köstlich schmecken, wie sie es sich ausgemalt hat?«
Marcus schluckte, die blauen Augen betroffen weit aufgerissen. »Nein«, flüsterte er, »das will ich nicht, aber noch weniger will ich, dass sie stirbt.«
Chapel strich sich mit der Hand übers Kinn. Er war müde. Wie seltsam! Die Nacht war noch jung, und alles, was er wollte, war, sich hinzulegen und zu schlafen. Schlafen und nie wieder aufwachen.
»Ich will auch nicht, dass sie stirbt«, gestand er. »Aber ich werde sie nicht verdammen. Darum dürfen Sie mich nicht bitten.«
Marcus stürzte den Rest
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