Unsterbliches Verlangen
nicht der Typ, der durchbrannte - und schon gar nicht wollte er sie verführen.
»Sie können wohl schlecht so in die Ruine steigen.« Er zeigte auf ihr Nachthemd.
»Die Ruine?« Allein die Erwähnung machte ihr Herzklopfen. »Wir gehen in die Ruine - jetzt?«
Er nickte. »Ziehen Sie sich an!«
Diese Ungeduld sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Pru wandte sich zu ihrem Ankleidezimmer, zögerte allerdings noch. »Aber es sind noch mindestens zwei Stunden bis zum Tagesanbruch.«
»Deshalb gehen wir auch jetzt. Der Priester schläft, und Chapel ist noch fort.«
»Fort?« Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Wo ist er?«
Marcus kam auf sie zu und schob sie sanft, aber beharrlich ins Ankleidezimmer. »Weiß ich nicht genau. Er ist nicht bei der Ausgrabungsstelle, doch das ist bloß eine Frage der Zeit. Also sollten wir uns beeilen.«
Pru blieb wieder stehen. »Warum gehen wir ohne ihn oder Molyneux hin?«
Marcus seufzte erschöpft, legte beide Hände auf Prus Schultern und drehte sie zu sich. »Weil ich will, dass Sie bekommen, was in dem Keller ist, Pru. Ich will Ihnen die Entscheidung überlassen, niemandem sonst. Verstehen Sie?«
Sie glaubte schon, wenngleich es sie verstörte, Marcus so verbissen zu sehen. Er sorgte sich, dass Molyneux und Chapel versuchen könnten, mit dem Gral zu verschwinden, ehe sie die Chance hatte, ihn zu benutzen?
Obschon sie weder vom Priester noch von Chapel schlecht denken wollte, wusste sie doch praktisch nichts über deren Beweggründe. Auch wenn sie den beiden vertraute, galt deren Loyalität in erster Linie der Kirche, nicht ihr.
»Ich beeile mich«, versicherte sie ihm und eilte ins Ankleidezimmer.
Die einzigen Sachen, die ihr einigermaßen passten, waren die Strümpfe. Die Hose war in der Taille zu weit, an der Hüfte eng und mehrere Zentimeter zu lang. Das Hemd war ebenfalls zu groß, aber sie stopfte es in die Hose, um die Taille auszufüllen. Die Jacke passte etwas besser. Sie gehörte wahrscheinlich einem jungen oder einem kleinen Mann. Als Letztes schlüpfte Pru in ihre eigenen Stiefel und steckte sich das Haar zu einem unordentlichen Knoten auf.
Marcus schritt in ihrem Zimmer auf und ab, als sie wieder herauskam. »Wie sehe ich aus?«
»Lächerlich«, antwortete er grinsend. »Bereit?«
Sie nickte. O ja, sie war bereit!
Leise schlichen sie sich aus ihrem Zimmer und die Treppe hinunter. Draußen führte Marcus sie hinters Haus zu den Stallungen, wo zwei Pferde auf sie warteten. Nachdem er ihr in den Sattel geholfen hatte, schwang Marcus sich auf sein Pferd und ließ es in Richtung Ausgrabungsstelle traben.
Es war dunkel, und der Mond stand tief am Himmel. Das Licht reichte lediglich aus, um wenige Meter vorauszusehen, aber mehr brauchten sie und ihre Pferde nicht. Die Tiere kannten den Weg ebenso gut wie Marcus und Pru. Um sie herum sang die Nacht ihr Lied, welches an eine gewisperte Klage gemahnte. Weiter weg schrie eine Eule, während eine Fledermaus so dicht an Pru vorbeihuschte, dass sie das Schlagen ihrer Flügel hörte.
Wie viel Frieden die Nacht bereithielt! Es wehte eine kühle Brise, die sich nach dem stickigen Sommertag angenehm erfrischend ausnahm.
Der Ritt zur Ausgrabungsstelle war weder kurz noch sonderlich weit. Das Grundstück schloss direkt an die Südgrenze des Anwesens an, ungefähr eine Meile vom Herrenhaus entfernt. Dennoch war es weit genug, dass Pru erneut über Chapel und den Kuss im Garten nachdenken konnte.
Ich konnte seither kaum noch an etwas anderes denken, hatte er gestanden, wobei der Klang seiner Stimme im Verein mit seinem Blick sie dahinschmelzen ließ.
Dann konnte sie wohl schlecht Gift für den Mann sein, oder? Aber wenn er sie so dringend küssen wollte, warum war er dann davongelaufen?
Warum quälte sie sich so? Hatte sie nicht ernstere Probleme, um die sie sich sorgen sollte? Wenn sie Chapel das nächste Mal sah, würde er sich zweifellos nicht nur für sein Handeln entschuldigen, sondern ihr überdies eine Erklärung dafür liefern.
Nachdem sie beschlossen hatte, nicht weiter über diese Angelegenheit nachzugrübeln, kehrten ihre Gedanken zum Gral zurück. Würde er dort sein, wenn Marcus und sie in den Keller gingen? Ja, ja. Er musste! Sie weigerte sich, das Gegenteil auch nur in Betracht zu ziehen.
Was würde sie mit der neuen Verlängerung ihres Lebens anfangen? Es gab unzählige Orte, die sie sehen, Dinge, die sie erleben wollte. Wo sollte sie anfangen?
Eines jedoch würde sie auf jeden Fall tun, ganz gleich, was
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