Unsterbliches Verlangen
geschah, nämlich eine leidenschaftliche Umarmung mit Chapel erleben. Sie schämte sich nicht, es zuzugeben, obwohl es höchst unanständig von ihr war. Womit sie schon bei dem einen wäre, was sie nicht tun würde, wenn sie erst einmal geheilt wäre. Sie würde nicht zu einem Leben zurückkehren, wie es die Gesellschaft von ihr erwartete. Selbst ein langes gesundes Leben war immer noch zu kurz, um am Ende voller Reue auf alles zurückzublicken, was, man versäumt hatte. Wenn sie starb, wollte sie nicht bereuen, was sie getan oder nicht getan hatte.
Sie dachte an die Orte, die sie besuchen wollte - und malte sich aus, wie sie mit Chapel zusammen zu ihnen reiste. Sie würde die Wunder Griechenlands bei Nacht erkunden und das Mondlicht auf dem Schwarzen Meer glitzern sehen. Sonnenuntergänge über den Karpaten waren gewiss auch atemberaubend.
Mit diesen Gedanken erreichte sie schließlich die Ausgrabungsstelle, ein verträumtes Lächeln auf dem Gesicht. Sie fühlte sich mutig und voller Spannung, als sie mit Marcus zum Kellereingang hinabstieg. Die Stufen waren grob und uneben, aber breit, so dass keine Sturzgefahr bestand.
Marcus hielt eine Laterne hoch. Kaum aber beleuchtete der goldene Lichtkegel die Kellertür, erstarrte Pru.
Die Tür war offen!
War sie von allein aufgegangen, oder war jemand anders hier? Pru sah hinunter. Im Schmutz waren Fußabdrücke zu sehen, die aber von den Arbeitern stammen konnten. Es könnten sogar Marcus' sein.
War er vielleicht schon drinnen gewesen, obwohl er ihr versprochen hatte, auf sie zu warten? Oder waren doch Diebe eingedrungen? Sie öffnete den Mund, um ihn zu fragen, doch er drehte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf. Er sah ängstlich und wütend aus. Nein, er war es nicht gewesen.
Nervös blickte sie sich um, konnte in der Dunkelheit jedoch nichts erkennen oder hören, was auf Besucher schließen ließ - waren sie nun willkommen oder nicht.
Hatte Marcus nicht Männer abgestellt, um den Eingang zu bewachen? Eine Ausgrabung wie die ihre brauchte besonderen Schutz, und den hätte Marcus ganz sicher nicht vergessen.
Andererseits waren vielleicht seine eigenen Männer drinnen, um ihre Neugier zu befriedigen. Oder aber es war Chapel. Was, wenn er hergekommen war, um den Keller zu untersuchen? Was, wenn er und Molyneux vorhatten, ihr den Kelch zu stehlen? Womöglich war er vor ihr geflohen, weil er sich deshalb zu schuldig fühlte?
Genug Fragen. Die Antworten, die sie wollte, fanden sich in dem Keller, und sie würde mit Marcus hineingehen, um sie zu entdecken. Wenn irgendjemand versuchte, ihr den Gral wegzunehmen, würde sie es nicht kampflos zulassen. Sie war nicht so weit gekommen, um jetzt zu verlieren.
Entschlossen streckte sie die Schultern durch. Ihre Knie zitterten, als Marcus ihr die Laterne gab, eine Pistole aus seinem Gehrock zog und die Tür ein Stück aufschob, damit sie hineinkonnten. Glaubte er, der Eindringling war immer noch drinnen? Und hielt er denjenigen für so bedrohlich, dass er ihn eventuell erschießen würde?
Bitte lass es nicht Chapel sein!
Außer ihrer Laterne gab es kein Licht in dem modrig schmutzigen Raum. Und bis auf ihrer beider Atem war kein Geräusch zu vernehmen. Allerdings schien Prus auch laut genug, um Tote zu wecken.
Die Lampe beleuchtete bloß wenige Meter vor ihnen halbwegs klar. Pru drehte den Docht höher, damit die Flamme größer wurde. Sie stand neben Marcus, und beide sahen sich ganz genau um.
Der Raum hatte etwas von einer Klosterzelle. In ,der Ecke stand ein schmales Bett mit einem kleinen Nachtschrank daneben. Auf dem Schrank stand eine Lampe, und die Decken lagen unordentlich und zerknittert auf dem Bett, als hätte kürzlich jemand darauf geschlafen.
An der anderen Wand stand ein grob gearbeiteter Tisch, unter den ein einzelner Stuhl geschoben war. Über dem Tisch hing ein Gemälde, das einen mittelalterlichen Ritter mit seiner Dame darstellte.
Hier hatte einmal jemand gelebt, der aber nicht mehr hier sein konnte, oder?
»Hier ist niemand«, stellte Marcus fest, der sich scher als sie in der kleinen Kammer umgesehen hatte, und steckte seine Pistole wieder ein.
»Aber es war jemand hier.« Pru sprach aus, was sie beide wussten. »Sieht es aus, als würde etwas fehlen?«
»Ich weiß nicht, ob ich das erkennen könnte«, antwortete er. »Achten wir auf Spuren im Staub.«
Pru sah sich genauer um. Entweder reichte das Licht nicht aus, oder es war nichts bewegt worden.
Oder derjenige, der hier gelebt hatte, war
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