Unter allen Beeten ist Ruh
öffnete sie diese wie zufällig. Sie warf einen Blick hinein und ging dann langsam zum Esstisch. Sie steckte die Hände in die Taschen ihrer Strickjacke und sah Pippa an.
Setz dich endlich hin, dachte Pippa.
Als hätte Angelika ihre Gedanken gehört, setzte sie sich auf die äußerste Kante eines Stuhls. Ihr Körper wirkte gespannt wie eine Stahlfeder.
Pippa atmete auf. Angelika war neugierig, damit war die Voraussetzung für das Gelingen des Plans geschaffen.
Das Spiel konnte beginnen – und musste bis zum Ende gespielt werden.
Langsam und ruhig, bewusst jede hektische Bewegung vermeidend, ging Pippa zum Geschirrschrank und holte zwei Weingläser heraus. Ein Tablett mit einer geöffneten Flasche von Dorabellas Schlehenwein stand bereit. Pippa stellte die Gläser dazu und trug alles hinüber zum Tisch.
Angelika beobachtete sie scharf, als Pippa die Gläser füllte.
»Du bist nervös. Deine Hände zittern.«
Pippa entrang sich ein Lachen und setzte sich. »Natürlich bin ich nervös. Unser Gespräch kann mein Leben ändern. Unser beider Leben.«
Sie hob ihr Glas.
»Ich möchte einen Toast ausbringen. Auf uns! Frauen, die wissen, was sie wollen, und sich holen, was ihnen zusteht!«
Angelika Christ hob zögernd ihr Glas, nippte aber nur, ohne Pippa aus den Augen zu lassen. Ihre Stimme hatte einen aggressiven Unterton, als sie sagte: »Warum ich? Ich dachte, Karin wäre deine beste Freundin, warum hast du mich ausgesucht?«
Jetzt ist meine ganze Schauspielkunst gefragt, dachte Pippa und verzog verächtlich den Mund.
»Karin? Machst du Witze? Die hat sich in ihrer Bilderbuchwelt eingerichtet. Kein Ehrgeiz, keine Ambitionen. Die hat verlernt, über den Tellerrand hinauszusehen. Sie hat alles, was sie je wollte: einen Mann, zwei Kinder, eine schöne Wohnung.« Sie lehnte sich zurück und sah Angelika herausfordernd an. »Wer nicht mehr vom Leben erwartet, verdient auch nicht, mehr zu bekommen.«
»Du bist eifersüchtig auf sie«, sagte Angelika lauernd.
Pippa zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Wenn es Eifersucht ist, dass mich ihre selbstgefällige Gelassenheit rasend macht, dann bin ich wohl eifersüchtig.«
Angelika Christ nickte wissend. Ihre verkrampften Hände lockerten sich.
»Ich brauche eine Frau, die tickt wie ich«, fuhr Pippa fort. »Eine Frau, die über Leichen geht, um ihre Ziele zu erreichen.«
Angelikas Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich war sehr erstaunt, als ich deine Einladung bekam.«
Sie zog einen Zettel aus der Jackentasche und las vor: »Du willst das Hanf-Hotel? Du willst Schreberwerder für Dich? Ich weiß einen Weg, wie Du alles bekommen kannst: mit meiner Hilfe – und Beteiligung. Näheres heute um Mitternacht in Dorabellas Haus. P. B.« Sie hob den Blick. »Ich muss schon sagen – recht theatralisch.«
Das aus dem Mund der Königin der theatralischen Auftritte, dachte Pippa. Laut sagte sie: »Ja, vielleicht habe ich ein wenig übertrieben, aber ich bin eine leidenschaftliche Frau. Genau wie du. Außerdem …« Pippa beugte sich vor und senkte die Stimme. »Wir haben keine Zeit zu vergeuden. Wir müssen sofort handeln. Wir haben nur eine Chance.«
»Chance, wofür?«, fragte Angelika mit hochgezogenen Augenbrauen.
Pippa ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie antwortete: »Die Chance, unsere Zukunft zu sichern. Die Chance auf ein Leben in Wohlstand, das wir uns verdammt noch mal verdient haben, nach allem, was wir durchgemacht haben. Du und ich, wir haben das gleiche Schicksal erlitten.«
»Ach, tatsächlich? Nicht, dass ich wüsste.«
»Wir haben beide geglaubt, eine glückliche Zukunft vor uns zu haben an der Seite des Mannes, den wir lieben. Und wurden wir nicht beide ausgenutzt, hintergangen und betrogen?«, sagte Pippa eindringlich. »Einen Unterschied gibt es allerdings: Du bist mutiger als ich. Mein Mann lebt noch.«
Angelikas Gesicht versteinerte, aber sie erwiderte nichts.
Verzeih mir, Leo, und du auch, Karin, dachte Pippa, das alles geschieht im Dienste der Wahrheit. Und wie es aussieht, muss ich sogar noch eins drauflegen, um Angelika zu knacken …
»Niemand gönnt uns unser Glück, Angelika. Andere Frauen nehmen uns unsere Männer weg. Es ist nicht fair, dass Frauen wie Karin, die haben, was wir uns wünschen, uns damit trösten, dass der Schmerz irgendwann vergehen wird!« Pippa schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Was wissen die schon von Verlust? Gar nichts wissen die! Und nichts von dem Hass, der uns auffrisst!«
Endlich blitzte
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