Unter allen Beeten ist Ruh
schon allet erzählt. Zieh’n Se sich wat Warmes an, und wir kieken in de Zwischenzeit nach’m Dach. Schätze, Viktor hat verjessen, dat Leck zu stopfen.«
Während Pippa in Jeans und Pullover stieg, hörte sie durch die halb geschlossene Tür, wie Luis und der junge Mann die Dachreparatur besprachen.
Als sie in den Wohnraum kam, saßen die beiden am Tisch, hatten heiße Zitrone vor sich stehen und mampften Viktors Topfkuchen. Luis sah sich im Wohnzimmer um. Immer, wenn er einen ungewohnten Gegenstand erblickte, nickte er kaum merklich. Schließlich deutete er auf ein kleines, silbergerahmtes Porträtfoto. Pippa hatte es am Vorabend unschlüssig hin- und hergetragen. Nachdem es ihr auf dem Nachtkästchen zu nah gewesen war, hatte sie es kurzerhand mitten auf den Esstisch gestellt, um später einen passenderen Standort zu suchen.
»Wer is’ denn der Adonis?«, fragte Luis, und Herr X blickte neugierig auf das Foto und dann auf Pippa.
»Mein … Mann. Leonardo. Er wohnt in Italien. Florenz. Wir leben getrennt.«
Luis wiegte den Kopf. »Also Ex? Und dann stellste dir ’n Bild von ihm inne Bude, Mächen?« Mit dem Wechsel ins Berlinerische wechselte er ganz natürlich zum Du.
Pippa nahm das Bild in die Hand. »Ich dachte, wenn ich es jeden Tag sehe, gewöhne ich mich daran, dass es das Original in meinem Leben nicht mehr gibt …«, sagte sie.
»Na, dat is woll ’ne Jeschichte, die ick bei mächtich heißem Schlehenwein janz ausführlich hören muss. Heute Abend, in meene Bude. Nach jetaner Arbeet.«
Pippa sah unglücklich auf Leos Bild und wusste nicht, was sie entgegnen sollte. Herr X kam ihr zur Hilfe. Er räusperte sich und sagte: »Wir fangen besser gleich mit der Reparatur an. Wird nicht lange dauern, dann ist alles wieder dicht. Ich ziehe neue Dachpappe auf und du sicherst, Luis. Und Viktors Freundin geht solange rüber zu mir und nimmt ein heißes Bad. Handtücher liegen in dem kleinen Einbauschrank gleich neben der Waschmaschine.«
»Jenau so machen wir et.«
Bevor Pippa protestieren konnte, hatte Luis ihr einen Regenschirm in die Hand gedrückt und sie aus der Haustür geschoben. »Wenn wa fertich sind, frühstücken wa zusammen.«
»Aber ich weiß doch nicht, wo Herr X …?«, versuchte Pippa, zu protestieren. »Ich …«
Luis grinste. »Keen Problem, immer dem Namen nach. Wirste schon sehen.«
Er verschwand im Haus, und Pippa machte sich auf den Weg. Es goss noch immer in Strömen, und der Regenschirm nutzte nur wenig. Sie notierte im Kopf, dass sie Karin anrufen und sie bitten musste, Ölzeug für sie mitzubringen.
Pippa marschierte den Mittelweg zwischen den Parzellen entlang, der »Dorfstraße« genannt wurde, und wo der Heidesand bereit schien, Unmengen von Flüssigkeit aufzunehmen, bevor er sich in eine Schlammwüste verwandelte.
Die Dorfstraße führte von der Anlegestelle und dem kleinen Platz mit Bank bis fast an das andere Ende der Insel. Sie endete in einem schneckenförmigen Heckenlabyrinth aus Weißdorn, Eibe und Liguster, in dem das Stromaggregat der Insel versteckt war.
Pippa passierte auf der rechten Seite ein protziges Tor mit einem wuchtigen Namensschild, das auch dem Eingang eines Schlosses zur Ehre gereicht hätte und verriet, dass diese Geschmacklosigkeit einer Familie Erdmann gehörte. Die Ausmaße der Parzelle hinter dem Eingangstor degradierten Luis’ angrenzenden Garten zu zwergenhafter Größe. Direkt gegenüber lag Karins Parzelle. Zwischen ihrem Kleingarten und dem ihres Vaters gab es keinen Zaun, dennoch wirkte auch dieses Grundstück kümmerlich im Vergleich zu dem der Erdmanns.
Gleich darauf blieb Pippa vor Überraschung stocksteif stehen und starrte sprachlos auf das Bild, das sich ihr in der Parzelle neben Karins Garten bot: unzählige Skulpturen in X-Form, in unterschiedlichen Größen und verschiedensten Materialien. Holz, Speckstein, Metall, Keramik, naturbelassen oder mit bunten Ornamenten bildeten einen Jägerzaun der ganz besonderen Art. Sie betrat fast ehrfurchtsvoll den Garten. Hier standen Skulpturen in wilder Mischung – alle in der gleichen Form. Einige von Rosen umrankt oder ganz mit Moos verkleidet, andere hochglanzpoliert.
Pippa ging zur Haustür, der ein gläserner Windfang in Form eines Tipis vorgesetzt war, das dem Namen seines Besitzers alle Ehre machte. Pippa grinste.
Erst beim Eintreten bemerkte sie, dass der kleine Bungalow neuerer Bauart war als die Häuser auf den anderen Parzellen. Das Gebäude war mit dem Häuschen auf dem
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