Unter allen Beeten ist Ruh
Stephan warf einen amüsierten Blick auf Nante und Pippa. »Aber nicht in Parzelle 7.«
Ein paar Minuten später saßen alle an der Tafel. Schüsseln mit Kartoffel- und Tomatensalat wurden herumgereicht, jeder nahm sich Fleisch und Bratwürstchen von der großen Platte in der Mitte des Tisches.
»Wohnst du bei Opa Viktor?«, fragte Anton, der trotz seiner knapp fünf Jahre Würstchen am laufenden Meter vertilgte.
»Nur, solange Opa Viktor im Urlaub ist », sagte Pippa.
»Machst du auch alles so wie Opa Viktor?«, piepste Luise, das lebhaftere der Zwillingsmädchen.
»Das hat Emil mich auch schon gefragt. Ich hoffe, ihr helft mir alle, damit ich nichts falsch mache.« Pippa sah Emil an.
Der Junge schielte zu seiner Mutter hinüber. »Wir helfen Opa Viktor im Garten. Unkraut zupfen und Hühner füttern, Gras zusammenrechen, wenn er gemäht hat. Oder wir pflücken die Erdbeeren und Johannisbeeren.«
»Klingt ganz so, als wäre ich da ebenfalls auf eure Hilfe angewiesen.«
Die Kinder warfen sich besorgte Blicke zu. Pippa ahnte, dass ihr eine wesentliche Information fehlte. Sie wollte gerade nachfragen, als Nante sie vielsagend ansah. Pippa kombinierte: Viktor hatte den Kindern offenbar ein paar Cent für ihren Einsatz gegeben. Die Kästners machten nicht den Eindruck, als könnten sie es sich leisten, vier Kindern Taschengeld zu zahlen.
»Ich werde alles genau so machen wie Opa Viktor, das verspreche ich euch.«
Die Geschwister strahlten erleichtert. Das schon fest verschlossen geglaubte Tor zu Brausebonbons, Schaumwaffeln und Lakritz war wieder geöffnet.
Jetzt hielt es die Kinder nicht mehr auf den Stühlen. Auf ein Nicken ihres Vaters liefen alle vier zurück zum Sandkasten.
»Nur noch fünf Minuten«, rief Gerdi den Kindern hinterher. »Dann ab ins Bett.«
»Hoffentlich weißt du, was da alles auf dich zukommt, Pippa. Die vier können sehr anhänglich sein.« Nante lächelte. »Und sie suchen immer jemanden, der ihnen vorliest. Eine echte Tortur, von der man nur wieder loskommt, wenn Herr X oder Dorabella ablösen.«
Stephan Kästner zwinkerte in die Runde. »Apropos Herr X. Heute Nacht war wieder Vollmond, habe ich gehört.«
Er und Nante prusteten los.
»Vollmond?«, fragte Pippa erstaunt. »Gestern war Neumond.«
Gerdi rollte mit den Augen. »Ihr Kindsköpfe. Findet ihr es lustig, unseren Gast zu veräppeln? Du musst wissen, Pippa: Vollmond hat hier eine … andere Bedeutung.«
Stephan kicherte, und Nante erklärte: »Herr X badet heimlich in Erdmanns Pool, wenn der nicht da ist. Nackt.« Er machte eine Kunstpause und forschte in Pippas Miene nach einer Reaktion. Dann fuhr er fort: »Und wenn sein Allerwertester in der Nacht leuchtet …«
»… dann ist auf Schreberwerder Vollmond!«, vervollständigte Gerdi den Satz ihres Bruders und grinste.
Pippa ließ sich von der allgemeinen Heiterkeit anstecken und lachte mit. Die Vorstellung, wie der schüchterne Herr X splitterfasernackt durch die Nacht schlich, um in Lutz Erdmanns Luxuspool seine Bahnen zu ziehen, hatte ihren Reiz.
»Hallo, Nachbarn!«
Pippa reckte den Hals, um zu sehen, wer gerufen hatte. Am Zaun, der die Kästnersche Parzelle vom Grundstück der Peschmanns trennte, stand die Frau, die Pippa tags zuvor mit ihrer Familie beim Verlassen der Rieke gesehen hatte.
Nante und Stephan reagierten nicht, aber Gerdi Kästner sagte knapp: »Tag, Pia. Was gibt’s?«
»Wir räumen unsere Hütte aus, aber wir können nicht alles mitnehmen. Wollt ihr mal gucken, ob ihr irgendetwas gebrauchen könnt?«
»Die feinen Herrschaften«, grollte Nante leise, »wollen den alten Krempel wohl nicht mehr, wo sie jetzt Aussicht auf Erdmanns Geld haben.«
»Nante!«, mahnte Gerdi. Dann rief sie laut: »Für uns nicht, Pia, die Hütte platzt schon aus allen Nähten. Aber danke, dass du an uns gedacht hast.«
Pia Peschmann wollte sich schon umdrehen, als Pippa spontan aufstand und sagte: »Ich würde das Angebot sehr gern annehmen, wenn ich darf. Ich bin Pippa Bolle. Ich hüte Viktor Hausers Parzelle, solange er unterwegs ist.«
Sie war neugierig, die Verräter näher kennenzulernen.
»Gern«, erwiderte Pia Peschmann, »komm rüber.« Sie winkte den Kästners noch einmal freundlich zu und ging dann wieder in ihr Häuschen.
»Ihr nehmt es mir doch nicht übel, wenn ich mir die Sachen mal ansehe?«, fragte Pippa ihre Gastgeber.
»Natürlich nicht. Schön, dass du bei uns warst.« Gerdi lächelte.
»Du willst doch nicht wirklich zu denen da drüben …«,
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