Unter allen Beeten ist Ruh
Sie mal rein.«
Er hielt ihr die geöffnete Kiste unter die Nase. Pippa sah ein Sammelsurium von Dingen: zwei große Knöpfe, eine gelbe Gummiente, einen Fahrplan der Rieke , einen benutzten Fahrschein und eine abgegriffene Taschenbuchausgabe von Erich Kästners Emil und die Detektive . Am Boden der Kiste lag ein dickes weißes Kuvert. Pippa sah ihr Gegenüber fragend an.
»Also, der Clou ist: Sie wählen etwas aus dem Angebot aus und tun etwas Neues hinein. Und dann posten Sie das im Internet. Und immer so weiter. Eigentlich können Sie das in fast jedem Land der Erde tun.« Er zuckte mit den Schultern. »Macht Spaß, ehrlich.«
»Und den gesamten Grundstock haben Sie jetzt hineingetan?«
»Genau.«
»Und was ist in dem Umschlag? So eine Art Lageplan?«, fragte Pippa neugierig.
»Das erfährt nur derjenige, der diesen Briefumschlag gegen einen anderen Gegenstand austauscht.«
»Dann werde ich wohl auch mal auf Schatzsuche gehen müssen«, sagte Pippa. Sie verabschiedete sich von dem jungen Mann und schlenderte langsam zu Viktors Parzelle zurück.
Erst viel später fiel ihr auf, dass sie den jungen Mann nicht gefragt hatte, ob es denn erlaubt sei, auf einer Privatinsel einen Schatz zu vergraben. Und wie er vor dem ersten Anlegen der Rieke nach Schreberwerder gekommen war.
Aber da saß sie bereits auf der kleinen Terrasse hinter dem Haus und hoffte, sich darauf verlassen zu können, dass das Schild mit der Aufschrift Bitte nicht stören am Gartentor seinen Dienst tat.
Von ihrem Platz aus hatte sie freie Sicht auf den Anleger, wo reges Treiben herrschte. Nicht nur die Rieke kam regelmäßig vorbei, auch private Boote legten an und brachten Menschen und Material für Erdmanns große Party. Ein kleiner Mann in Kochkleidung dirigierte lautstark und mit beiden Armen fuchtelnd die Anlieferung großer Kisten auf Rollbrettern, die unter lautem Rumpeln über den hölzernen Steg gefahren wurden. Die Kästner-Kinder lungerten auf dem Dorfplatz herum und beobachteten neugierig den ungewohnten Rummel.
Ein schickes kleines Schnellboot brauste heran, sprühte Gischt über den Landungssteg und brachte einen Mann im eleganten Seidenanzug, der einen teuer wirkenden Aktenkoffer trug. Mit eiligen Schritten strebte er über den Anleger und wurde am Dorfplatz von Lutz Erdmann in Empfang genommen.
»Lutz«, sagte der Mann im Seidenanzug mit einer knappen Verbeugung, »dein Anwalt und Notar steht zu deiner Verfügung.«
Lutz Erdmann schlug seinem Gegenüber jovial auf die Schulter.
»Gut, dass es noch geklappt hat, Christian. Ich dachte schon, unser schöner Plan löst sich in Wohlgefallen auf.«
Der Anwalt lachte. »Keine Sorge. Ich habe alles Notwendige dabei. Ich kassiere heute Abend jeden ein, der laut über den Verkauf seiner Parzelle nachdenkt. Sieh du nur zu, dass reichlich Alkohol fließt – und du meine Provision rechtzeitig überweist.«
Erdmann grinste. »Mit dem, was ich auf die Insel geschafft habe, können wir ganz Berlin betrunken machen. Bist du sicher, dass alles legal ist?«
Der Anwalt nickte. »Handschlag-Vertrag, das ist das Stichwort. Es gilt das sogenannte gesprochene Wort. Und wenn ich dann zufällig in der Nähe bin und das bezeugen kann …«
Die beiden Männer lachten und gingen gemeinsam Richtung Erdmanns Parzelle.
Einige Stunden später kamen die Wittigs. Pippa flitzte aus dem Garten und den Steg entlang, um ihre Freunde zu begrüßen.
»Frau Wittig!«
»Frau Bolle-bei-Hauser!«
Pippa und Karin fielen sich in die Arme.
Matthias grinste. »Schön, wenn man sich nach langen Jahren wiedersieht!«
»Tag, Matthias. Na, ihr beiden?« Pippa umarmte kurz Lisa und Sven. »Kann ich euch tragen helfen?«
Karin schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht viel dabei, es sind ja leider nur anderthalb Tage. Außerdem schlagen wir uns heute bei Lutz den Bauch voll.«
»Bei all dem Zeug, das schon den ganzen Tag auf die Insel geschleppt wurde, muss wirklich niemand befürchten, dass er verhungert oder verdurstet«, sagte Pippa.
Die beiden Freundinnen schlenderten langsam der übrigen Familie hinterher. Matthias, Lisa und Sven waren bereits an ihrer Parzelle angelangt und öffneten das Gartentor.
»Tee?«, fragte Pippa.
»Sehr, sehr gern«, antwortete Karin. »Ich komme zu dir, ja?«
Zehn Minuten später sah Karin sich neugierig in der Hütte ihres Vaters um. Sie grinste, als sie das Porträt von Leo entdeckte und sagte: »Stimmt ja, ich habe noch etwas für dich.« Sie zog einen Brief aus ihrer
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