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Unter allen Beeten ist Ruh

Unter allen Beeten ist Ruh

Titel: Unter allen Beeten ist Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auerbach , Keller,
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idyllischen Wasser hatten ihr immer gefehlt.
    Schließlich brach Nante das entspannte Schweigen.
    »Soll ich dir was gestehen? Wenn ich gewusst hätte, dass Dora mit dem Geld, das sie erwartet, ihre Lebensversicherung meinte, hätte ich mit Freuden darauf verzichtet. Sie musste erst sterben, damit ich …« Er holte tief Luft und wischte sich mit der Hand über die Augen.
    »Kann ich mir vorstellen, dass sich das seltsam anfühlt«, sagte Pippa. »Glaubst du, sie hatte alles von langer Hand vorbereitet?«
    »Du meinst, es war kein Unfall, sondern Selbstmord? Dann muss sie einen … Sekundanten gehabt haben, der den Wasserhahn abgestellt hat.«
    »Stimmt. Mein Bruder sagt übrigens, dass die Polizei nicht den Begriff Selbstmord verwendet, sondern Freitod. Denn Mord bedeutet ja, dass jemand nicht freiwillig aus dem Leben scheidet.«
    »Ich bin schon so lange kein Polizist mehr«, spöttelte Nante, »dass ich das glatt vergessen hatte. Aber davon abgesehen: Sag das mal Sokrates, der wurde eindeutig zum Selbstmord gezwungen.«
    »Punkt für dich. Aber das dürfte auf Dora kaum zutreffen. Ein Helfer also. Wer könnte das sein? Luis?«
    »Nie im Leben. Der kann keinem Lebewesen etwas zuleide tun. Jemand, der jede Spinne raus in den Garten trägt und Fische am liebsten totstreicheln würde, statt sie zu angeln … nee, Luis wäre niemals imstande dazu.«
    »Gerdi? Oder Stephan?«
    Nante schüttelte bestimmt den Kopf. »Dora würde keine Familie mit kleinen Kindern zu ihren Komplizen für einen … Freitod machen. Sterbehilfe ist verboten. Sollte Dorabella das wirklich geplant haben, hat sie sich ihren Beistand ganz genau ausgesucht. Am besten jemanden, der ungebunden ist und rational genug, um sich darauf einzulassen.«
    »Rational?«
    »Na klar. Sie musste schließlich irgendeine Person argumentativ überzeugen, ihr zu helfen. Das war bestimmt nicht nur: Hey, hilfst du mir, mich umzubringen? Und dieser Jemand sagt: Klar, mach ich. Wenn, dann war das sicher ein längerer Prozess. Und es muss jemand sein, der sie und ihren Wunsch in höchstem Maße respektiert.«
    »Alle haben Dorabella respektiert«, sagte Pippa.
    »Bis auf Lutz.«
    Pippa hob die Augenbrauen. »Aber der dürfte kaum als Sterbehelfer in Frage kommen. Es sei denn, Lutz und Dora hatten ein anderes Verhältnis, als wir alle glauben.«
    »Hatten sie nicht. Dora war eine viel zu feine Dame, als dass sie schlecht über andere Leute geredet hätte … nicht einmal über Lutz hat sie böse Worte verloren! Aber sie hat dennoch keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihre Parzelle lieber in den Fluten der Havel versinken lässt, als sie Lutz zu verkaufen. Sie liebte Schreberwerder, und wie wir wissen, hat sie alles nur Erdenkliche unternommen, um die Insel vor Lutz’ Größenwahn zu schützen.«
    »Dann bleiben ja nicht mehr viele übrig. Viktor?«
    Nante sah Pippa überrascht an. »Der bestimmt nicht. Der war in Italien. Wenn einer ein hieb- und stichfestes Alibi für diese Nacht hat, dann Viktor.«
    Was das anging, war Pippa zwar anderer Ansicht, behielt es aber für sich.
    Stattdessen sagte sie: »Herr X?«
    Wieder ein verblüffter Blick von Nante. »Entschuldige bitte: Machst du Witze? Herr X? Der wäre gleich mitgegangen, so sehr war er Dora ergeben. Das wäre, als müsste er seine eigene Mutter umbringen!«
    Soll schon vorgekommen sein, dachte Pippa, aber auch das sprach sie nicht laut aus.
    »Was denkst du über Felix?«, fragte Nante, während er schon konzentriert den nächsten Anleger ansteuerte.
    Pippa seufzte. »Leider können wir ihn nicht fragen. Der hat selbst jemanden gehabt, der nachgeholfen hat.«
    Nante steuerte die Rieke längsseits an den Steg von Tegelort. »Wissen wir das genau? Es kann auch ein Unfall gewesen sein.«
    »Das kann es bei Dorabella auch.«
    Nante beobachtete Pippa, während sie Fahrkarten verkaufte und mit den ein- und aussteigenden Passagieren plauderte. Er musste sich eingestehen, dass er sie mochte. Sie war clever, lustig und nicht auf den Mund gefallen. Heute sah sie aus wie direkt den Fünfzigerjahren entsprungen: Sie trug einen buntgestreiften Tellerrock, ihre Strohsandalen und eine leuchtend gelbe Bluse mit kurzen Ärmelchen. Gekrönt wurde ihre auffallende Erscheinung durch einen Strohhut, der dank eines maigrünen Schals, der um die breite Krempe geschlungen und unter dem Kinn geknotet war, dem Fahrtwind trotzte. Die Enden des Seidenschals flatterten mit ihren roten Haaren, die unter dem Hut hervorquollen, um die Wette.

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