Unter alten Bannern (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
Leanda war zwar verwundert, dass die Königin ein Geheimnis um den Sämling machte. Doch es war ihr einerlei und schnell ging sie los, um ihre Zeichenutensilien zu holen.
Rettung
Im Fend, 26. Tag des 6. Monats 2515
Turgos schloss die Augen, bereit, den kalten Stahl des Dolches an seinem Hals zu spüren. Er hatte keine Angst und war bereit. Hier also, weit entfernt von seiner Heimat, sollte er den Tod finden. Er wusste, dass der Mann, der nun links hinter ihm stand, jeden Augenblick seinen Kopf zurückreißen würde, um ihm dann die Kehle durchzuschneiden. Wenn er keinen Widerstand leistete, würde es auch schnell gehen. Es war seltsam, aber er wunderte sich selbst, wie gefasst er in seinen letzten Augenblicken in dieser Welt war. Das Bild Whendas wurde nun von dem Ililiths verdrängt, das sich vor sein inneres Auge schob. Das wollte er jedoch nicht und er versuchte, an Whenda zu denken, aber es fiel ihm schwer. Ililith schien seine Gedanken auszufüllen und er kämpfte dagegen an, die Erinnerung an Whenda zu verlieren. Der Mann hinter ihm tat etwas, was er nicht sehen konnte, nur seinen Schatten, der über ihn fiel, konnte er wahrnehmen. Er spürte, wie der Mann nach ihm griff, mehr als dass er es sah. Seine Kameraden waren nicht einmal gespannt. Turgos sah in ihren Gesichtern mehr die Erwartung, dass ihr Kamerad es endlich hinter sich bringen sollte als eine Spannung. Auch keine Gnade konnte er ihren Blicken entnehmen.
Mit einem Mal war jetzt Todesangst in seinen Gedanken. Sie fraß sich schneller in sein Gehirn, als er es zuvor geglaubt hätte. Die Unabänderlichkeit seiner Situation wurde ihm schmerzlich bewusst und alles in ihm schrie danach, weiterzuleben. Er musste sich sehr zusammenreißen und es kostete ihn alle Kraft, die Furcht vor dem nahenden Tod zu überwinden. Er wollte nicht wie ein Feigling, um sein Leben bittend aus der Welt gehen. Alles in ihm schrie jedoch förmlich danach, es wenigstens zu versuchen, und auf die Gnade der Männer zu hoffen, die es niemals geben würde. Wenn es doch endlich passieren möge. Er wollte nicht die Fassung verlieren, aber in einem Bruchteil der nächsten Sekunde würde es passieren.
»Bring es hinter dich«, presste er mehr hervor, als dass er es sagte. Er konnte den Mann, so glaubte er, aus dem Augenwinkel erkennen. Ganz nah stand er hinter ihm. Und nun passierte es: Mit einem Ruck wurde sein Kopf zur Seite gerissen. Er spürte noch, wie die Klinge des Messers in sein Fleisch schnitt. Die Todesangst war einem Schmerz gewichen, der ihm unvorstellbar erschien, als der Mann ihm die Kehle durchschnitt. Blut spritzte ihm auf die Beine und über das Gesicht, seine Gedanken waren, obwohl er die Augen geschlossen hatte, nur damit beschäftigt, ihm das Bild einer tiefen, klaffenden Wunde an seinem Hals zu zeigen.
Dann stürzte der Mann sogar über ihn. Hatte er seine Klinge mit so fester Hand geführt, dass er das Gleichgewicht verloren hatte? Oder hatte ihn der Ruck, mit dem er an Turgos Kopf zog, straucheln lassen? Turgos holte tief Luft. In diesem Moment vermochte er auch wieder etwas klarer zu denken und er wunderte sich einen Augenblick, wieso er überhaupt Atem holen konnte. Eigentlich konnte das nicht mehr gehen. Er öffnete die Augen, denn als er versuchte, den Kopf zu bewegen, verspürte er keinen Schmerz. Das Bild, das sich ihm bot, war anders, als er es erwartet hatte. Sein Henker lag links vor ihm, den Dolch noch in der rechten Hand. Aber er war es, dem das Blut aus dem Körper floss, als ob ein unsichtbarer Damm in ihm gebrochen war. Jetzt begriff er, dass es nicht sein Hals war, der durchschnitten worden war. Er konnte es zwar noch nicht einordnen, aber der Kopf des Mannes war fast von seinem Rumpf getrennt und hing nur noch an einigen Hautfetzen am Körper.
Die anderen sechs Soldaten standen bei ihrem Unteroffizier und schauten erstaunt zu ihm herüber. Doch sie schauten nicht ihn an. Hinter ihm musste sich das Ziel ihrer Blicke befinden. Turgos widerstand zunächst dem Gedanken, sich umzusehen. Dies lag zum einen daran, dass der fast Geköpfte vor ihm noch etwas zuckte, und zum anderen wollte er gar nicht wissen, was diesen getötet hatte. Doch dann gab er seinem Drang nach und sah sich um. Dort, wo zuvor sein Henker gestanden hatte, war nun Whenda und hatte dessen Platz eingenommen. Alles hatte nur einige Augenblicke gedauert, auch wenn sie Turgos unendlich lange vorgekommen waren. Sein erster Gedanke war, dass er Whenda warnen
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