Unter alten Bannern (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
Whenda das, was sie immer gewesen war. Unerreichbar für einen seiner Rasse. Und das war sicher auch gut so. Denn nun fand auch er, dass es sich nicht geziemte, das einer der Menschen sich den Frauen der Anyanar näherte. Deren Schicksal wurde von anderen Mächten bestimmt als das der Menschen. Schon der Unterschied, dass auf deren letzten Weg ein anderer Geleiter ihrer Lichter erschien als bei den Menschen, trennte die Geschlechter weiter voneinander, als man es sich vorstellen konnte. Und Chammon war grausam anzusehen.
In den Tagen, die sie in Lahrewan verbracht hatten, hatte ihm Whenda zwar zu erläutern versucht, dass Chammon immer das Bild annahm, das die Menschen von ihm erwarteten, wenn die Hand des Todes an sie gelangte. Doch von Ihriel, dem Strahlenden, der die Lichter der Anyanar zu den Hallen des Mythanos führte, konnte man dies nicht sagen. Dieser sei immer strahlend und voller Zuversicht, hatte sie gesagt. Viele Dinge aus der alten Welt hatte sie ihm erzählt. Sie sprach von großen Reichen, die das Volk der Zwerge einst gegründet hatte. Diese hätten einen Schatz ihr Eigen genannt, dessen Größe alles an Gold und Geschmeide übertraf, was er sich in seinen kühnsten Träumen auch nur vorstellen konnte. Wo auch immer dieser sagenhafte Schatz verblieben sein mochte, dort, so glaubte sie, war auch die letzte Ruhestätte von Xenon, dem legendären ersten Fürsten von Fengol. Er hatte sie gefragt, warum dieser, wenn er doch so hoch in der Gunst der Mächte gestanden hatte, dann doch aus dieser Welt scheiden musste. Es sei seine Bestimmung gewesen, hatte sie darauf geantwortet. Der Mann war angeblich ein Mittvierziger gewesen, als er verschwand, und ihm war nicht ganz verständlich, dass jemand dieses Alters einfach so aus der Welt schied, noch dazu, wenn die Mächte, von denen Whenda immer sprach, anscheinend ihre schützende Hand über ihn gelegt hatten. Ihre Worte hatten in ihm immer weitere Fragen geweckt, über die er nachdachte. Er befürchtete, dass er nun wahrscheinlich nicht mehr alles erfahren würde, wonach es ihn gelüstete. Denn Whenda, so glaubte er, hatte jetzt ihre Bestimmung gefunden. Die Probleme, die er mit der Welt hatte, würden in den Hintergrund treten müssen. Das fand Turgos schade, aber dies war nun einmal der Lauf der Dinge. Und wer war er, dass er diesen aufzuhalten vermochte? Er konnte sich noch nicht darauf einstellen, dass genau er ein kleiner Teil des gesamten Laufs der Dinge war, die nun bald ihren Höhepunkt finden mussten. Ob diese jedoch im Guten oder Schlechten ihren endgültigen Verlauf nehmen würden, das wüssten selbst die Weisesten nicht vorherzusagen.
Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als er kurz aufblickte und nach vorne sah. Dort oben in schwindelnder Höhe glaubte er wieder das rote ziegelgedeckte Dach eines Turmes zu erkennen, wie schon auf ihrem Marsch nach Lahrewan. Dieser Tag schien ihm so weit in der Vergangenheit zu liegen, dass er fast schon unwirklich war. Doch die Turmspitze war Realität. Erst jetzt sah er, dass der Turm, den sie krönte, von einer Höhe sein musste, die jeder Beschreibung zuwiderlief. Denn er kam so hoch zwischen einem Felsgrat hervor, dass er ihn fast schon rein durchs Ansehen schwindelig machte. Es war unglaublich, dass man überhaupt etwas in eine solche Höhe bauen konnte, ohne dass es sofort durch die Last des eigenen Gewichts einstürzte. Er sah nicht, das Whenda sich nach ihm umdrehte und sein Staunen über den höchsten Turm des Falkensteins mit einer gewissen Befriedigung sah. Was würde Turgos wohl erst sagen, wenn er vor der gewaltigen Wehrmauer der Festung angelangt war?
Ohne dass Turgos es gemerkt hatte, war Humir neben ihn getreten und sah ebenfalls zum höchsten aller Türme Fengols hinauf. Humir dachte dabei an das Wiedersehen mit seinem Großvater, die Wunder und Pracht des Falkensteins kannte er schon seit Kindestagen, aber er war auch stolz darauf, dass der Baron von Schwarzenberg sich so bewundernd daran ergötzte. Sein Großvater würde Augen machen, wenn er nun in Begleitung der Statthalterin Fengols an das Tor des Falkensteins kommen würde. Gelam, so lautete dessen Name, war sechsundsiebzig Sonnenjahre alt und hatte das Amt des obersten Verwalters des Falkensteins seit fünfzehn Jahren inne. Schon ein Jahr, nachdem er damals den Falkenstein betreten hatte, war der vorhergehende Verwalter der Festung gestorben und Gelam wurde in dieses Amt gewählt. Es war Tradition, das immer einer derer, die unter
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