Unter deinem Stern
hatte immer vor zu fahren, die Frage ist nur, mit wem.«
»Claudie?« Kristen warf ihrer Freundin einen flehenden Blick zu.
»Ich glaube nicht, dass die Entscheidung bei mir liegt. Oder?« Die Frage war an Simon gerichtet, doch Claudie sah nur Kristen an.
Einen schrecklichen Moment lang herrschte peinliches Schweigen. Dann wurde ihr Zug angekündigt.
»Ihr habt nicht mehr viel Zeit«, drängte Kristen und schaute die beiden abwechselnd an.
»Was meinst du?« Simon wandte sich an Claudie und lächelte sie schüchtern an. »Würdest du mich gern nach Paris begleiten?«
Kristen wäre Simon am liebsten um den Hals gefallen. Aber Claudie hatte seine Frage noch nicht beantwortet. Einige Sekunden vergingen, während sie Simon musterte.
»Okay«, sagte Claudie schließlich.
Kristen stieß einen Freudenschrei aus, schlang ihre Arme um Claudie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, sodass ein dicker knallroter Fleck zurückblieb. Dann verpasste sie Simon ebenfalls einen Kussmund auf die frisch rasierte Wange.
»Los, beeilt euch!« Sie bugsierte Simon und Claudie in Richtung Zug. »Viel Spaß!«, rief sie, während die beiden einstiegen.
Als der Zug losfuhr, wedelte Kristen mit den Armen wie eine menschliche Windmühle, doch weder Simon noch Claudie winkte zurück.
40
Seit sie in Whitby losgefahren waren, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Als der Eurostar jetzt aus dem Londoner Waterloo-Bahnhof ausfuhr, fragte Claudie sich, was in aller Welt sie dazu gebracht hatte, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Schließlich war ein Wochenende in Paris mit ganz bestimmten Assoziationen verknüpft, und sie war nicht so naiv, das nicht zu wissen.
Sie lehnte sich zurück und blickte kurz zu Simon hinüber. Er hatte ihr beim Einsteigen mit ihrem Koffer geholfen, aber er war heute wohl nicht besonders gesprächig. Plötzlich überkamen sie fürchterliche Gewissensbisse. Ich darf eigentlich gar nicht hier mit ihm im Zug sitzen, dachte sie. Sie hätte sich gegen Kristen durchsetzen sollen. Sie wollte nicht hier sein, und sie war davon überzeugt, dass Simon sie auch nicht dahaben wollte. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Es sei denn, sie nahm den nächsten Zug zurück nach London. Das wiederum war jedoch eine gänzlich unvernünftige Verschwendung.
Sie starrte aus dem Fenster, aber in den endlosen Feldern, die sich bis zum Horizont erstreckten, konnte sie auch keine Lösung entdecken. Sie musste sich schon selbst etwas einfallen lassen. Vielleicht könnte jeder einfach seiner eigenen Wege gehen, sobald sie in Paris ankamen. Das wäre vielleicht das Beste. Simon konnte tun und lassen, wozu er Lust hatte, und sie würde sich auf eigene Faust amüsieren. Ganz einfach. Paris war groß genug, dass man nicht befürchten musste, sich alle fünf Minuten über den Weg zu laufen.
Nur wie sollte das mit dem Frühstück laufen? Sie wollte auf keinen Fall, dass Simon sich von ihr belästigt fühlte. Schließlich war das sein Urlaub, und wahrscheinlich lagen ihre Zimmer direkt nebeneinander. Am Ende würde sie noch das halbe Wochenende damit verbringen, darauf zu lauschen, wann er das Zimmer verließ, und nachzusehen, ob die Luft rein war, bevor sie sich auf den Flur traute.
Claudie kaute auf ihrer Unterlippe und sah sich im Abteil um. Garantiert befand sich keiner ihrer Mitreisenden in einer ähnlichen Zwangslage wie sie. Wie hatte sie das nur wieder geschafft? Eins stand jedenfalls fest – kostenlose Reise nach Paris hin oder her, sie würde Kristen den Hals umdrehen, sobald sie wieder in Whitby war. Sie wusste ja, dass Kristen meinte, sie und Simon würden gut zusammenpassen, aber das hier ging entschieden zu weit.
Sie betrachtete die anderen Leute im Abteil und versuchte, sich ein Bild von ihnen zu machen. Zwar konnte sie niemanden entdecken, der ein stinkendes Sandwich mit Ei aß, dafür umso mehr Passagiere mit Handy. Wo sie auch hinblickte, sah sie Leute mit ihrem kleinen Finger sprechen. Die meisten waren Männer, die Nadelstreifenanzüge und Krawatten trugen, und sie wirkten etwa so interessant wie eine Ansammlung von Regenwürmern. Andererseits befanden sich diese Herren natürlich auf Geschäftsreise und hatten nicht etwa vor, ein romantisches Wochenende in Paris zu verbringen.
Claudie wollte gerade die Augen schließen, um ihrem Kummer zu entfliehen, als plötzlich im weichen Licht der rosafarbenen Tischlampe fünf winzige Gestalten auftauchten. Claudie blinzelte und sah kurz zu Simon hinüber, aus
Weitere Kostenlose Bücher