Unter deinem Stern
schließlich nicht ihre Schuld, dass sie sich auf ein Wochenende mit ihrer besten Freundin gefreut hatte und jetzt dazu verdonnert war, in der Stadt ihrer Träume hinter ihm herzudackeln. Doch nun waren sie hier, und sie mussten sich irgendwie mit der Situation abfinden.
Was sollten sie also tun? Es konnte natürlich jeder seiner eigenen Wege gehen, aber das würde nicht besonders viel Spaß machen. Dazu hatte er wirklich keine Lust, denn er mochte Claudie.
Plötzlich spürte er, dass er beobachtet wurde. Nervös drehte er sich um. Am Tresen stand eine rothaarige Schönheit mit einer Mähne wie Rita Hayworth, zwischen den Fingern mit rot lackierten Nägeln hielt sie die obligate Zigarette. Simon kam sich vor, als wäre er unversehens in einen Film Noir geraten. Es wäre ein Leichtes gewesen, sich auf einen Flirt einzulassen, die kesse Biene mit einem Lächeln an seinen Tisch zu locken, doch er brachte es nicht fertig, denn er konnte nur an Claudie denken.
Geräuschvoll schob er seinen Stuhl zurück, zahlte an der Kasse und ging hinaus auf die Straße. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und die Leute eilten zurück nach Hause oder in ihre Hotels. Zu zweit.
Simon schlug seinen Kragen hoch und machte sich auf den Weg ins Hotel.
Als er im ersten Stock aus dem Aufzug stieg, hatte er sich immer noch nicht überlegt, was er tun sollte. Am liebsten hätte er an ihre Tür geklopft und sich auf sie gestürzt, aber die Vernunft sagte ihm, es sei besser, in sein Zimmer zu gehen und sich auszuschlafen.
Ein paar Sekunden lang blieb er vor der Zimmertür mit der Nummer zwanzig stehen. Wahrscheinlich schlief sie längst tief und fest, und keinesfalls träumte sie von ihm.
Er wollte sich gerade zurückziehen, als er leise Musik aus Claudies Zimmer hörte. Er beugte sich vor und presste ein Ohr gegen die Tür. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, und er ging kopfschüttelnd zu seinem Zimmer.
Nur Claudie konnte es fertig bringen, eine ins Französische synchronisierte Fassung von Singin’ in the Rain im Fernsehen zu entdecken und sich lieber den Film anzusehen, als einen Abend mit ihm in Paris zu verbringen.
Claudie wachte auf und starrte an die Decke. Sie musste sich rasch duschen, denn am Abend zuvor hatte sie es nicht mehr ins Bad geschafft, sondern war gleich nach dem Ende des Films, den sie sich vom Bett aus angesehen hatte, eingeschlafen.
Wenn das Musical wenigstens meine Stimmung aufgeheitert hätte, dachte sie. Make ’em Laugh hatte normalerweise den gewünschten Effekt, und Broadway Melody war eigentlich ein unfehlbares Mittel, aber gerade nachts verfehlten die Songs leider häufig ihre Wirkung, sie konnten die Macht ihrer dunklen Träume nicht brechen. Ihre Träume waren so realistisch, dass sie selbst nach dem Aufwachen noch das Gefühl hatte, Luke sei bei ihr, der lebende, atmende Luke mit seinem strahlenden Lächeln und den großen, kräftigen Bergsteigerhänden, die ihre Haut streichelten.
Manchmal wusste sie nicht, wie sie das aushalten sollte, denn es war, als würde sie ihn jeden Morgen aufs Neue verlieren. Die Wunde war noch so frisch, dass man wirklich nicht viel Salz hineinzustreuen brauchte, um den Schmerz unerträglich zu machen. Wie würde Simon darauf reagieren? Wie würde sie diesen Schmerz vor ihm verbergen können?
Sie stand auf, trat ans Fenster und lugte durch den Spalt zwischen den Vorhängen nach draußen. Wer eine Reise in einem Preisausschreiben gewinnt, bekommt anscheinend kein Zimmer mit Aussicht, dachte Claudie, als sie in die enge, mit Menschen und Fahrzeugen gefüllte Straße hinunterblickte. Eine Zeit lang blieb sie am Fenster stehen, beobachtete das Treiben und hörte sich mit wenig Vergnügen die Kakophonie des Verkehrslärms an. Mitten im dichten Verkehr entdeckte sie ein kleines grünes Auto, voll besetzt mit Männern in grünen Overalls, die Ladefläche mit Besen und Schaufeln bepackt, das am Straßenrand entlangtuckerte. Claudie grinste. Paris, auf der ganzen Welt bekannt für seine prächtigen Boulevards, seine extravaganten Boutiquen und seine mit Hundekot verdreckten Straßen.
Sie hätte den ganzen Vormittag damit zubringen können, das Treiben auf der Straße zu beobachten, doch dann hörte sie plötzlich ein seltsames Geräusch. Es kam aus dem Badezimmer.
Sie ging ins Bad, schaltete das Licht an und lauschte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie das Geräusch erkannte. Simon stand nebenan unter der Dusche und sang die schrägste
Weitere Kostenlose Bücher