Unter deinem Stern
Ding in die Brusttasche seines riesigen karierten Hemds steckte.
»Karabinerhaken. Den braucht man zum Klettern.«
»Ah, verstehe«, sagte sie, obwohl sie überhaupt nichts verstand. Sie warf einen Blick auf die Rückbank. »Wozu braucht man diese Dinger mit den Spitzen?«
»Zum Klettern im Eis. Das sind Steigeisen«, erläuterte er.
Claudie hatte Mühe, nicht laut loszulachen. Sie saß in einem Auto voller Haken und Krampen.
»Und das? Das sieht ja lebensgefährlich aus.«
Er nickte. »Ein Eispickel. Es wäre lebensgefährlich, bei schlechtem Wetter ohne so ein Ding im Gepäck zu einer Bergtour aufzubrechen.«
Claudie lief ein Schauer über den Rücken. Sie war Luke erst einmal begegnet. Konnte sie es riskieren, sich zu einem Mann ins Auto zu setzen, der dicke Seile und einen Eispickel spazieren fuhr? Dann dachte sie daran, wie sie ihn am Teich mit den Naturfreunden erlebt hatte. An sein ansteckendes Lachen, an seine Bereitschaft, Arbeiten zu übernehmen, vor denen alle anderen zurückschreckten, an die Art und Weise, wie alles sich um ihn gedreht hatte, als wäre er die Sonne. Dann war da noch der Vorfall mit dem Frosch gewesen.
Kaum hatte Luke ihre Schnittwunde verbunden, hatte eine andere Frau laut aufgeschrien.
»In meiner Butterbrotdose sitzt ein Frosch!«
Alle lachten.
»Das ist nicht lustig! Seht euch das mal an! Er sitzt direkt auf meinem Marmeladenbrot! Gott, ist das ekelhaft! Tu ihn weg, Luke!«
Luke und Claudie betrachteten den blinden Passagier in der Butterbrotdose.
»Der ist doch ganz winzig, Emma! Der wollte dir nur mal guten Tag sagen. Wahrscheinlich hast du ihn zu Tode erschreckt mit deinem Geschrei.«
Claudie hatte zugeschaut, wie Luke den kleinen Frosch vorsichtig in die Hände nahm. Er hatte wirklich die unglaublichsten Hände, die Claudie je gesehen hatte, und als sie beobachtete, wie das Fröschchen sicher in seinen schützenden Händen hockte, hatte sie sofort gewusst, dass sie Luke jedem Märchenprinzen vorziehen würde.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Luke und riss sie aus ihren Tagträumen.
»Wirklich?«, fragte sie und fürchtete schon, er könnte ebenso gut Gedanken lesen, wie auf Berge klettern.
»Ja. Du fragst dich, wieso du zu diesem Verrückten ins Auto gestiegen bist.«
»Stimmt gar nicht!«
Luke grinste.
»Na ja, die ganzen Seilrollen da hinten haben mich vielleicht im ersten Moment ein bisschen nervös gemacht –«
»Keine Sorge«, sagte Luke. »Die werden wir heute noch nicht brauchen. Wir fangen mit einer ganz einfachen Bergwanderung an.«
Claudie biss sich auf die Lippe. Sie wollte nirgendwohin gehen, wo man sich anseilen musste.
Die Fahrt dauerte ewig. Sie fuhren über eine Landstraße, die an den Yorkshire Dales vorbeiführte und sich dann nach Cumbria hineinwand.
»Wo geht es denn eigentlich hin?«, fragte Claudie.
»Das ist ein Geheimnis.«
Claudie lächelte. Er nahm sie mit auf eine Fahrt ins Blaue. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie entdeckte einen Wegweiser nach Windermere. Am liebsten hätte sie eine Rast eingelegt, so schön war es hier! Vielleicht wollte er nach Rydal Water oder nach Grasmere. Ja, das würde ihr gefallen! Aber Luke fuhr in eine andere Richtung und bog in eine Straße ein, die offenbar aus dem Lake District hinausführte.
»Es ist nicht mehr weit«, versicherte er ihr, doch das stimmte nicht. Inzwischen war Claudie ziemlich beunruhigt. Wohin in aller Welt waren sie unterwegs? Sie hatten beinahe die Westküste erreicht, und sie fragte sich, welchen Sinn und Zweck es haben konnte, eine derart weite Strecke zurückzulegen, wo sie doch selbst eine wunderschöne Küste vor der Haustür hatten.
Endlich, als Claudie schon dachte, sie würde vom langen Sitzen Krämpfe in den Beinen bekommen, verlangsamte Luke das Tempo.
»Sieh dir das an«, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung nach vorne, wo ein atemberaubender Anblick sie erwartete. »Wastwater«, erklärte er. »Der tiefste und schönste der Seen hier.«
Claudie bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Sie war sich gar nicht sicher, ob sie das, was sie sah, als schön bezeichnen würde. Eindrucksvoll und spektakulär – aber schön? Sie war vollkommen überwältigt. Wenn sie als Kind und Jugendliche an Ausflügen in den Lake District teilgenommen hatte, dann waren sie immer nach Windermere oder Derwentwater gefahren. Sie hatte romantische Bauernhäuser gesehen, war in Cafés eingekehrt und mit Bötchen gefahren. Aber das hier war einfach umwerfend! Und es
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