Unter dem Banner von Dorsai
seine tiefliegenden Augen, und sein unsteter Blick wanderte umher und fixierte sich schließlich auf Lisa.
„Tam ist hier, Mark“, sagte sie. Sie wich zur Seite, so daß ich näher ans Bett treten konnte und sah mich dabei über die Schulter hinweg an. „Beug dich hinunter, Tam“, riet sie. „Beug dich ganz zu ihm hinunter.“
Ich schob mich heran und folgte ihrem Rat. Seine Augen starrten mich an. Ich war nicht sicher, ob er mich erkannte oder nicht. Doch dann bewegten sich seine Lippen, und ich vernahm den Hauch eines röchelnden Flüsterns, tief in der geschrumpften Höhle seiner einstmals so breiten Brust.
„Tam …“
„Ja“, sagte ich. Ich stellte fest, daß ich seine Hand ergriffen hatte und festhielt. Ich wußte nicht, warum. Die langen Knöchel waren kalt und kraftlos in meinem Griff.
„Sohn …“ flüsterte er so schwach, daß ich ihn kaum hören und verstehen konnte. Und von einem Augenblick zum anderen, ohne einen einzigen Muskel zu rühren, kam eine plötzliche, furchtbare Wut über mich. Ich versteifte mich, und mir wurde kalt.
Wie konnte er es wagen? Wie konnte er es wagen, mich „Sohn“ zu nennen? Ich hatte ihm keine Erlaubnis gegeben, kein Recht oder irgendeine Aufmunterung, mich so anzusprechen … mich, den er kaum kannte. Mich, der ich nichts gemeinsam mit ihm oder seiner Arbeit oder irgend etwas, für das er eintrat, hatte. Wie konnte er es wagen, mich „Sohn“ zu nennen?
Aber er flüsterte noch etwas anderes. Er wollte der so schrecklichen und ungerechten Anrede, die er mir gegenüber gebraucht hatte, noch zwei weitere Worte hinzufügen.
„… übernimm du …“
Und dann schlossen sich seine Augen, und seine Lippen hörten auf, sich zu bewegen – obwohl das langsame, ganz langsame Heben und Senken seiner Brust zeigte, daß er noch lebte. Ich ließ seine Hand sinken, wandte mich um und eilte aus dem Schlafzimmer hinaus. Schließlich fand ich mich im Büro wieder. Und dort verharrte ich, verwirrt und wütend auf mich selbst, denn der Ausgang war natürlich noch immer getarnt und verborgen.
Lisa kam mir hierher nach.
„Tam?“ Sie legte mir die Hand auf den Arm und zwang mich dazu, sie anzusehen. Ihrem Gesichtsausdruck entnahm ich, daß sie seine Worte gehört hatte und mich nun fragte, was ich beabsichtigte zu tun. Ich setzte an, damit herauszuplatzen, daß ich nichts von dem zu tun vorhatte, was mir der alte Mann gesagt hatte, daß ich ihm nichts schuldete und ihr ebensowenig. Nun, es war nicht einmal eine Frage gewesen, die er mir gestellt hatte! Er hatte mich nicht einmal darum gebeten … er hatte mir befohlen zu übernehmen!
Doch ich brachte kein Wort über die Lippen. Mein Mund stand offen, aber ich konnte offenbar nicht sprechen. Ich glaube, ich muß wie ein in die Enge getriebener Wolf nach Luft geschnappt haben. Und dann summte das Visifon auf Marks Schreibtisch und brach den Bann, der uns fesselte.
Sie stand direkt neben dem Schreibtisch. Automatisch ließ sie die Hand in Richtung des Anschlusses sinken und schaltete ihn ein. Aber sie blickte nicht auf das Gesicht hinab, das sich auf dem Bildschirm formte.
„Hallo?“ sagte eine leise Stimme aus dem Gerät. „Hallo? Ist dort jemand? Ich würde gern mit Berichterstatter Tam Olyn sprechen, wenn er dort ist. Es ist dringend. Hallo? Ist dort jemand?“
Es war die Stimme von Piers Leaf. Mit Gewalt löste ich meinen Blick, der an Lisa klebte, und beugte mich zum Visifon hinunter.
„Ah, da sind Sie ja, Tam“, sagte Piers vom Bildschirm. „Hören Sie, ich möchte nicht, daß Sie Zeit damit verschwenden, über die Ermordung Torres zu berichten. Wir haben hier eine ganze Menge guter Leute, die das erledigen können. Ich glaube, Sie sollten unverzüglich nach Santa Maria fliegen.“ Er hielt inne und sah mich vom Bildschirm aus bedeutsam an.
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