Unter dem Deich
setzten die Flämmchen ihren geräuschlosen Umzug fort. Kommandant Brijs rupfte mit einer Zange einen der Ballen auseinander. Während er das tat, schossen von allen Seiten Flämmchen herbei und vereinigten sich zu einer heftig auflodernden Feuerzunge, die mit giftigem Brüllen Brijs entgegensprang. Hastig stopfte er die Substanz wieder in den Ballen zurück, woraufhin sich die Flämmchen zufrieden wieder verteilten. Einige Flämmchen allerdings, die sich an den weißen Stoff geheftet hatten, flogen davon in die vor Hitze vibrierende Luft. Eine dieser kleinen Flammen schwebte auf ein Haus hinab und war dort noch eine Zeit lang zu sehen.
»Grundgütiger«, sagte Brijs, »so kann der Brand leicht auf die übrigen Häuser im Viertel überspringen.«
Drei Stunden später, als die Kirchenglocken uns zu den Gottesdiensten riefen, konnte der Kommandant noch immer nicht verkünden: Brand unter Kontrolle. Es war noch immer nicht gelungen, die Ladung auseinanderzuziehen (die Folge wären davonfliegende Flusen gewesen, an denen kleine Flammen hingen), und gleichzeitig drang auch das Löschwasser nicht in die schwelende Ladung ein. Drei Tage lang stand der Lastwagen brütend und glühend auf dem Damplein. Drei Tage lang konnte ich in der Mittagspause und nach der Schule die flüchtigen, verspielten Flämmchen auf der Grenze zwischen Ladung und Luft beobachten. Cor Breevaart hatte sich vorher schon geweigert, Glückwünsche für das Legen des am längsten währenden Brandes in der Geschichte der Stadt in Empfang zu nehmen. Er behauptete, er habe, obwohl er Mitglied der Anzündgruppe sei, das Feuer nicht verursacht. Der Brand müsse von allein entstanden sein, so wie zum Beispiel Heubrand von allein entsteht. Aber wieso stand dann der Lastwagen vor Breevaarts Haus? Auf der Wip hörte ich Pleun Onderwater sagen: »Die da oben haben uns alle hier unter dem Deich mit dem verdammten Zeug in Brand stecken wollen.«
Bald schon dachte ein jeder, man habe den geheimnisvollen Lastwagen genau dort abgestellt, um durch Breevaarts Mitgliedschaft in der Anzündgruppe zu verschleiern, dass man das ganze Viertel abfackeln wollte. Der Lastwagen machte uns deutlich, wie sehr wir auf der Hut sein mussten. Wir würden nicht einfach so wegsaniert werden. Man wollte uns auf viel effektivere Weise von der Landkarte fegen. Warum hatte man sonst den Wagen mit einer derart gefährlichen Ladung genau dort abgestellt? Wie leicht hätten, wenn ein wenig mehr Wind gewesen wäre, an einem so sonnigen Sonntagnachmittag die Flocken des brennenden Materials auf sämtliche Dächer fliegen können! Das hätte unser Ende bedeutet.
Cor Breevaart verrichtete eine Heldentat. Nach drei Tagen stieg er in den immer noch schwelenden Lastwagen und fuhr ihn vom Damplein runter, durch die Patijnestraat hindurch und den Afrol hinauf. Dann fuhr er über den Dijk und wendete am Fuß der Mühle De Hoop. Anschließend fuhr er über den Dijk zurück, bog in die Fenacoliuslaan und stellte den Wagen auf dem Platz vor der Feuerwehrkaserne ab. So führte er, obwohl er nichts anderes wollte, als den Brand von unter dem Deich nach über dem Deich zu bringen, eine neue Methode in der Brandbekämpfung ein: Verlegung des Brandherds zum Feuerbekämpfungszentrum. »Warum sollte«, schrieb die Reklamezeitung De Schakel , »die Feuerwehr immer zum Brand fahren? Andersherum geht es doch auch!«
Klang in den Scherzen, die damals über den fahrenden Brand gemacht wurden, schon ein wenig Erstaunen darüber mit, dass beim zweiten aufsehenerregenden Brand in jenem Jahr das zweite Mitglied der Anzündgruppe involviert war? Ich weiß es nicht, ich vernahm die Scherze nur aus zweiter Hand und hörte auch, wie die Billardspieler am Dienstagabend zu Niek Colenbrander sagte: »Jetzt bist du an der Reihe, alter Gauner.«
Abergläubisch, wie ich war, ging ich fraglos davon aus, dass ich Colenbranders Spielzeugladen in der Sandelijnstraat noch vor dem 1. Januar würde bis auf die Grundmauern niederbrennen sehen. Sooft wie möglich ging ich durch die Hoekerstraat zur Lijndwarsstraat und nahm dabei ein kleines Stück Sandelijnstraat mit, um einen kurzen Blick auf Colenbranders Spielzeugladen werfen zu können. Durch die ganze Sandelijnstraat zu gehen traute ich mich nicht. Vor allem abends, gleich nach dem Essen, war ein solcher Gang durch die Straße, die mein Lehrer, Herr Cordia, immer Rue de Sandelin nannte, lebensgefährlich. Hoch aufgeschossene Burschen, die Brüder Colenbrander selbst, die Brüder
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