Unter dem Deich
den Brand zu löschen, ebenso wenig wie das Löschwasser, das aus dem Noord- und dem Zuidvliet gepumpt wurde. Als gegen sieben Uhr die Feuerwehr aus Rotterdam mit professionellen Hohlstrahlrohren erschien, konnten lediglich noch die Nachbarhäuser gerettet werden. Als die Sonne feuerrot aufgegangen war – ich hatte inzwischen zu Hause gefrühstückt und befand mich, die Angstroute nehmend, auf dem Weg zur Schule –, sah ich den in eine Eisgrotte verwandelten Lijndraaierssteeg. Zwischen den faustdick von Dachrinnen herabhängenden Eiszapfen hindurch schlidderte ich die Gasse entlang. Mit mir schlidderten Kinder und Erwachsene, und ich bemerkte inmitten all der Menschen den verzweifelt dreinblickenden Hugo Vastenau. Wen sollte er, jetzt, da die Zahl der möglichen Kandidaten für einen Besuch bei seinem Bruder so groß war, zuerst ansprechen? Er quatschte einen Mann an, der ihn nicht einmal beachtete, sondern nur Augen für die bizarr geformten und kalt glänzenden Eissäulen hatte, die die Dachrinnen zu stützen schienen.
Das war der erste Brand in jenem Jahr. Während der gemütlichen Treffen am Dienstagabend, die vom Geräusch kollidierender Billardkugeln erfüllt waren, klopften nach zwei, drei Bierchen alle Jan Hollander ausgiebig auf die Schulter.
»Noch nie hat ein Mitglied der Anzündgruppe seinen Auftrag so hervorragend ausgeführt.«
Und zu Cor Breevaart und Niek Colenbrander sagten die Kameraden: »Und jetzt ihr. Jan hat in der kältesten Nacht des Jahres seine Bäckerei eigenhändig in Brand gesteckt. Er hat als Mitglied der Anzündgruppe sein gesamtes Hab und Gut geopfert. Jetzt seid ihr dran!«
So groß das Opfer auch war, das Jan gebracht hatte, größer noch war seine Zufriedenheit, als die Bäckerei mithilfe des Geldes von der Versicherung und in modernisierter Form über dem Deich von seiner Tochter neu eröffnet wurde. Zur Erinnerung an jene Frostnacht, in der weniger das Feuer als vielmehr das Eis seine alte Bäckerei dem Erdboden gleichgemacht hatte, buk er Eiszapfentorten und Schaumgebäck in der Form von Hohlstrahlrohren und glasierte Kekse, auf denen das Datum der Katastrophennacht zu lesen war. Nach einem Feuerwehrabend brachte mein Vater eine solche Eiszapfentorte mit nach Hause. Es schmerzte, den in eine Wunderwelt aus blauem Licht verwandelten Lijndraaierssteeg als bröselnden Kuchen mit Glasur wiederzusehen. So schnell wie möglich verschlang ich mein Tortenstück. Meine Erinnerung an die Eisfeuernacht wollte ich nicht reduziert sehen auf eine Komposition aus Zucker und Mehl, der alle Proportionen fehlten.
Es war bereits Hochsommer, als während des heiligen Sonntagnachmittagsschlummers die Alarmglocke zum zweiten Mal klingelte. Oh, welch große Befriedigung, diesen von mir so gehassten Schlummer durch Feueralarm gestört zu sehen! Mein Vater ahmte das Geräusch der Klingel zwar zufrieden im Schlaf noch, doch meine Mutter hielt es trotzdem für angebracht, ihn wachzurütteln.
»Feuer!«, rief sie.
»Feuer, Feuer!«, riefen wir alle aus voller Brust.
»Feuer!«, rief mein Vater im Schlaf. Seine Hände umklammerten einen imaginären Verteiler. Ich wartete nicht, bis er aufgewacht war. Ich rannte auf die sonnige, sommerliche Straße hinaus, eilte die Treppe neben dem Pumpwerk zum Deich hinauf, erkannte, dass es keinen Sinn hatte, in dieser sonnendurchfluteten, warmen Welt vom Dach des Pumpwerks aus nach einem Brand Ausschau zu halten, und flitzte folglich sofort weiter zur Feuerwehrkaserne. Dort hörte ich jemanden zweimal rufen: »Das Feuer ist auf dem Damplein, vor Breevaarts Haus!« Ich rannte wieder zurück, erreichte den Damplein, noch ehe das erste Feuerwehrauto dort ankam, und sah vor Breevaarts Haus einen großen Lastwagen stehen, der mit einer weißlich-wolligen Substanz beladen war, aus der kleine, spitze Flämmchen aufloderten. Die wollartige Substanz schien durch das Feuer nicht beschädigt zu werden, ebenso wenig wie das Holz der Ladeklappen. Es sah fast so aus, als kämen die dunkelroten Flämmchen nicht aus der Wolle, der Baumwolle oder dem Flanell, sondern würden sich aus der Luft auf das grauweiße Material herabsenken. Es schien fast, als machten die Flämmchen einen Rundgang. Ich beobachtete eines von ihnen. Es sprang von Ballen zu Ballen, behielt stets die gleiche Form und erlosch erst, als es einmal die Runde gemacht hatte. Während einige Feuerwehrleute, die nicht einmal ihre Uniformen anhatten, das Hauptrohr an den Haupthahn der Wasserleitung anschlossen,
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