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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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hinunter auf den Hof.
    »Kein Geld«, sagt der Direktor und streicht mit nervöser Hand über seinen haarlosen Schädel. »Ja, die Fenster müssten geputzt werden. Aber unser Etat für die Reinigung der Gebäude ist einfach zu gering. Nicht mal die Böden der Klassenzimmer werden noch jeden Tag gewischt.«
    Die Krieger rührt sich nicht.
    Der Direktor seufzt. Ein routiniert klingendes, sicherlich schon vielfach auf Konferenzen zur Beschleunigung von Entscheidungsprozessen eingesetztes Geräusch. »Zu wenig Geld für alles. Was glauben Sie denn, warum Deutschland bei diesen Pisa-Tests immer verliert? Zu wenige Lehrkräfte, zu wenige Bücher und erst recht nicht genug Computer. Dieses Gymnasium sollte mal die Manifestation sozialdemokratischer Hoffnung auf Bildung für alle sein, aber der Alltag …«
    »Der Alltag?«, fragt Manni.
    »Die meisten unserer Schüler kommen aus Brück, Rath oder Königsforst, nicht aus Ostheim oder Merheim.«
    »Aus wohlhabenden Elternhäusern also.«
    »Zumindest gut situiert, ja. Aber denken Sie nicht, dass die Eltern uns deshalb sponsern würden. Der Staat soll das mit der Bildung bitte schön regeln und im Zweifelsfall ist immer die Schule schuld. Oder die Politik.«
    »Mobbing«, sagt die Krieger zum Fenster hinaus.
    Der Direktor schüttelt den Kopf. »Einfach ist es doch nie, wenn Menschen miteinander klarkommen müssen. Aber Mobbing? Nein. Wir haben für unsere Schule einen Ehrenkodex entwickelt. Alle zusammen, Schüler und Lehrpersonal. Respekt ist unser Leitmotiv. Es gibt Streitschlichter, AGs, Aktionstage … Wir haben sogar einen Preis für unser Konzept erhalten. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass Jonathan Röbel – also dass der Täter hier aus der Schule stammt.«
    »Ich dachte, Sie haben kein Geld und zu wenig Personal?«, sagt Judith Krieger vom Fenster her.
    Der Direktor errötet. »Man muss eben Prioritäten setzen.«
    »Wie sieht es mit Drogen aus?«, fragt Manni.
    Wieder ein geschulter Seufzer. »Jugendliche probieren ja in der Pubertät alles Mögliche aus, das haben wir doch früher auch getan. Aber ein Drogenproblem haben wir hier an dieser Schule sicherlich nicht.«
    Klar, denkt Manni, die Insel der Seligen. Kein Großstadtgymnasium, das ein durchgeknallter Sozialtaktiker vor ein paar Jahrzehnten ins Niemandsland zwischen Reichen- und Arbeiterstadtteilen bauen ließ, die heute korrekterweise Hartzhausen heißen müssten.
    Der Schulgong läutet zur Pause, Lehrer strömen ins Lehrerzimmer, vom Schulhof klingt Lärm herauf. Judith Krieger rührt sich noch immer nicht.
    »Die Älteren quälen die Jüngeren, die Sportlichen die Unsportlichen, die schlechten Schüler die guten oder auch umgekehrt«, sagt sie zum Fenster. »Irgendeinen Grund gibt es doch immer. Irgendjemand quält immer jemanden. So war es früher. So ist es heute.«
    Manni tritt neben sie. Sieht Grüppchen älterer Schüler, die die Köpfe zusammenstecken, Grüppchen jüngerer Kinder, die Fangen spielen. Ein stetes Gewusel und Geschrei und Geknuffe und Gealber, ein Schulhof wie viele.
    »Warst du als Schüler beliebt?«, fragt Judith Krieger.
    Was für eine bescheuerte Frage. »Keine Ahnung, war alles normal.«
    »Dann kannst du es vielleicht nicht sehen«, sagt sie leise.
    »Was nicht sehen?«
    »Die Rangordnung.«
    »Rangordnung ?«
    »Die Schüler, die im Mittelpunkt stehen, die wie Magnete sind. Die, die sie anhimmeln und zu ihrem Kraftfeld gehören. Die, die sich aus gebührendem Abstand den Regeln beugen und deshalb in Ruhe gelassen werden. Und die, die nicht passen, die allein sind, geduckt, mit dem Rücken zur Wand.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, interveniert der Direktor. »Das ist doch alles ganz normal. Kommen Sie doch in mein Büro.«
    »Moment«, sagt Manni, denn auf einmal findet er die Bewegungsmuster der Schüler selbst interessant. Wo hätte Jonny gestanden, der Späher, der Einzelgänger? Der vielleicht etwas gesehen hat, was er nicht sehen durfte. Der gekämpft hat und verloren. Und wo sein Freund Tim, der immer so wirkt, als würde er jeden Moment weinen? Am Rand, denkt Manni, Judith Krieger hat Recht. Tim ist der Typ, der am Rand steht. Jonny wäre vielleicht einer der Unauffälligen gewesen. Oder ebenfalls am Rand, aber in einem Versteck. Was immer das für die Ermittlungen zu bedeuten hat.
    Er entdeckt den blonden Viktor, und wieder muss Manni sich eingestehen, dass Judith Kriegers Theorie passt. Viktor ist eindeutig ein Magnet. Sitzt auf der obersten

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