Unter dem Eis
ihm auf dem stahlbeinigen Sitzmöbel des Vernehmungsraums flegelt, wirklich der Täter ist, dem sie seit über einer Woche hinterherjagen. Das Aufnahmegerät sirrt diskret. Ralle Neisser glotzt gelangweilt auf den Linoleumboden. Immerhin zeigen die Fahrt im Polizeibus und die Erfassung seiner Personendaten und Fingerabdrücke allmählich Wirkung, denn zumindest sieht er nicht mehr ganz so zugedröhnt aus.
»Das Blut von Jonnys Dackel war an Teppichresten in deinem Garten und in Frimmersdorf. Dein Großvater lebt in Frimmersdorf, man hat dich dort mit deinem Mofa gesehen. Du dealst mit Ecstasy«, zählt Manni seine Indizien auf. »Wir haben ziemlich beachtliche Mengen in der Fabrikhalle gefunden –und bei dir zu Hause. Exakt denselben Stoff wie im Magen von Jonnys Dackel.«
Nur ein kaum wahrnehmbares Flattern in der Wangenmuskulatur verrät, dass Mannis Botschaft ankommt.
»Du hast Jonnys Hund getötet und verstümmelt und mitdeinem Mofa nach Frimmersdorf geschafft. Wir können das einwandfrei beweisen.«
»Dann kann ich ja gehen.« Ralle macht tatsächlich Anstalten, aufzustehen. Wortlos langt Manni über den Tisch, packt Ralles Arm und zwingt ihn wieder auf seinen Stuhl, das Brennen in seiner notdürftig verpflasterten Handfläche ignoriert er.
»Nicht so schnell, Sportsfreund. Erst mal erzählst du mir, was du mit Jonny gemacht hast.«
»Gar nix! Aua, das tut weh!«
»Du hast Jonny zusammengeschlagen und verschleppt und gefangen gehalten und getötet.« Manni lässt Ralles Arm wieder los. »Und das Gleiche hast du auch mit Tim gemacht.«
Das Flattern in Ralles Wangenmuskulatur wird stärker. Er langt nach seiner Zigarettenschachtel, aber Manni ist schneller und fegt sie vom Tisch. »Erst deine Antwort, Sportsfreund.«
»Ich hab nix gemacht! Keine Ahnung, was mit Jonny ist. Oder mit dem anderen.«
»Ich hab jede Menge Zeit«, lügt Manni. Er streckt das rechte Bein aus und angelt die Zigarettenschachtel zu sich heran, was sein lädiertes Knie mit schmerzhaftem Protest quittiert. Irgendwas darin ist bei seinem Sturz kaputtgegangen. Vorsichtig winkelt Manni sein Bein wieder an, schnappt sich Ralles Zigaretten und legt sie vor sich auf den Tisch. »Du bist vor ein paar Tagen achtzehn geworden. Ich an deiner Stelle würde mal über Kooperation nachdenken. So was macht sich immer ziemlich gut vor Gericht, wenn es ums Strafmaß geht.«
Ralle starrt auf seine Gauloises. Manni legt die Hand darauf und lehnt sich scheinbar entspannt zurück. Das Bandgerät schnurrt. Die Minuten vergehen. Kostbare, verschwendete Minuten, solange womöglich irgendwo ein Junge Todesängste durchleidet. Wenn er nur verstünde, was sein Unterbewusstsein zu funken versucht.
»Okay, ich hab dem Köter ’nen Trip verpasst.« Nach zehn Minuten Schweigen ist Neissers Selbstbeherrschung offenbar aufgebraucht. »Aber das war nur Spaß. Ich hab ihm die Pillen hingehalten, ruck, zuck hat er sie runtergeschluckt. Warum frisst das blöde Vieh die auch, wenn es dran krepiert?«
Auf einmal sieht Manni die Szene vor sich, als sei sie auf eine DVD gebrannt. Jonny und Dr. D. streifen durch den Wald, sie sind Späher, sie sind Partner, verstehen sich blind. Eine Weile belauschen sie Jonnys Stiefvater am Rastplatz, streichen durchs Unterholz, freuen sich, weil niemand sie bemerkt. Irgendwann auf dem Rückweg zum Indianercamp machen sie in der Schutzhütte eine Pause, wo Jonny die Caprisonne trinkt, deren Packung die Spurensucher gefunden haben. Und dann bricht mit Ralf Neisser das Entsetzen über Jonny Röbel herein, weil er mit ansehen muss, wie sein geliebter Dackel jämmerlich krepiert.
»Du hast Jonnys Messer genommen und dem Dackel ein Ohr abgeschnitten. Warum?«, fragt Manni.
»Hab ich nicht!«
»Lüg mich nicht an!«
Judith Krieger stößt die Tür auf und besteht darauf, dass Manni seine Vernehmung unterbricht. Ihre grauen Augen scheinen Funken zu schlagen, der seltsame türkisfarbene Rand um die Iris sticht noch auffälliger hervor als sonst. Sie knallt die Tür hinter ihnen zu und hält Manni ein Handy hin.
»Sie haben Tim vergewaltigt. Drück auf ›Start‹.« Ihre Stimme ist heiser, achtlos schiebt sie sich ein Büschel Locken hinters Ohr. »Suizidgefahr, sagt sein Psychologe. Wir haben immer noch keine Spur.«
Manni legt sein Notizbuch und Neissers Kippen auf einen Aktenschrank und nimmt das Handy, weil die Krieger ja sonst doch keine Ruhe gibt. Er muss heftig schlucken, als sich die Bilder eines schlaffen, wippenden Jungenpenis
Weitere Kostenlose Bücher