Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
Himmels und den bunten Blumen finden. Es stimmte, sie war nicht aus freien Stücken hergekommen. Sie wollte nach Hause, um den Menschen, die sich um sie sorgten, die Angst zu nehmen. Peter zum Beispiel. Vor allem aber wollte sie selbst entscheiden, wo sie war und was sie tat. Trotzdem nickte sie nur. Noah legte seinen Kopf schief, ließ seinen Blick auf ihr ruhen und fuhr dann fort.
»Wann immer dieser Zeitpunkt gekommen ist, werden wir dir dabei helfen, einigermaßen sicher hinüberzugelangen. Doch bis dahin müssen wir zusammenhalten und gemeinsam handeln. Deshalb schlage ich vor, dass wir sofort damit beginnen, uns besser kennenzulernen. Anna, was weißt du über Alexander?«
Anna zog die Beine an und schlang die Arme um ihre Knie. War es tatsächlich noch kälter geworden? Das gefiel ihr nicht. Sie wollte diesen Fremden nicht von ihrem Leben erzählen. Vorsichtig schielte sie zu Alexander hinüber. Was wusste sie schon von ihm? Dass er eine Verbindung nach Silvanubis hatte, dass er Schreiner, vorlaut und rechthaberisch war, dass er tiefgrüne, wunderschöne Augen hatte, dass sie es ihm verdankte, hier zu sein … Und, dass ihm Noahs Frage ebenso wenig gefiel wie ihr. Er war kreideweiß und sein Atem ging eine Spur zu schnell. Seine Finger lagen nicht mehr entspannt auf den Saiten der Gitarre. Verkrampft umschloss die Hand den schmalen Gitarrenhals.
»Nicht viel«, murmelte sie.
Noah war inzwischen hinter Alexander getreten und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt.
»Wie wär’s, Alex. Ein wenig hast du mir schon erzählt.«
Alexanders Gesicht war noch blasser geworden und für einen Moment befürchtete Anna, ihm würde schlecht und er müsste sich übergeben. Einem Impuls folgend schlang sie die Decke fester um sich und rutschte dicht an seine Seite. Sacht legte sie die Hand auf sein Bein und langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück. In Gedanken versunken positionierte er die Gitarre neu. Lautlos und gleichmäßig glitten seine Finger über die Saiten. Anna kannte die Melodie nicht, doch sie spürte, wie sie ruhig und versöhnend ihr Herz berührte. Keiner sprach ein Wort, es war, als hätten die Vögel ihr Gezwitscher für einen Moment vergessen und der Wind aufgehört, die Blätter der Bäume rascheln zu lassen. Nur die Melodie schien existent zu sein. Unermüdlich bewegten sich Alexanders schlanke Finger, wurden eins mit dem Instrument. Anna spürte, wie eine Gänsehaut ihren Nacken kitzelte. Was für eine Gabe besaß dieser grinsende Sprücheklopfer? Was für ein Talent! Sie schluckte die Tränen hinunter, bloß nicht weinen …
Ruhig verhallte die letzte Note im auffrischenden Wind, die Vögel zwitscherten. Es war Nico, der sich verlegen die Tränen aus dem Gesicht wischte.
Alexanders Unwohlsein schien verschwunden. Er legte die Gitarre zur Seite, sah Anna fest ins Gesicht und räusperte sich. »Ich bin wie du, Nico, der Jüngste in unserer Familie«, sagte er mit Blick auf den Blondschopf, der ein wenig näher an seine Schwester herangerückt war. »Ich hatte eine Schwester und einen Bruder, einen mutigen Vater und, genau wie ihr, eine wundervolle Mutter. Übrig sind nur noch meine Mutter, meine Schwester und ich. Ich denke, ihr wisst, dass es dort, wo Anna und ich herkommen, Krieg gegeben hat. Beinahe jeder hat jemanden verloren, der einem etwas bedeutet hat.«
Er suchte Annas Augen, doch sie senkte den Blick, wich ihm aus. Jeder hat jemanden verloren …
»Ich will euch nicht mit Einzelheiten langweilen und mich auf das Wichtigste beschränken. Ebenso wie mein Bruder habe ich von meinem Vater das Schreinerhandwerk gelernt.« Er sah kurz zu Noah hinüber. »Bei Gelegenheit musst du mir verraten, wer eure Möbel herstellt. Irgendjemand versteht da sein Handwerk.« Noah nickte ihm zu und Alexander fuhr fort. »Wir hatten … haben eine recht große Werkstatt hinter unserem Haus. Mein Vater war bei Kriegsbeginn vierundvierzig und wurde zusammen mit meinem Bruder Max eingezogen. Ich war gerade siebzehn geworden und blieb mit meiner Mutter und Schwester zurück. Wir drei haben zusammen die Schreinerei weitergeführt.« Er bemerkte Annas erstauntes Gesicht und lächelte. »Tja, die Frauen in meiner Familie lassen sich so schnell nicht unterkriegen. Wir haben Glück gehabt, die Bomben schienen an unserer Werkstatt vorbeizufliegen, nicht alles wurde zerstört.«
Anna hielt den Atem an. Nicht alles.
»Max jedoch«, Alexander legte eine kurze Pause ein und griff nach einem der mit
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