Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
Seiten schließlich zu stechen begannen, drehte sie sich abrupt um.
»Was denn, Alexander? Ich dachte, dir liegt neuerdings nichts an meiner Gegenwart oder gar an einer Unterhaltung. Mich wundert, dass du dich dieses Mal nicht davor drücken konntest, einige Minuten mit mir allein verbringen zu müssen. Hatten Erin oder Nico keine Zeit, dir diese lästige Aufgabe abzunehmen?«
Ohne Alexander auch nur die Chance für eine Antwort zu geben, kehrte sie ihm erneut den Rücken zu und stapfte durch das knöchelhohe Gras. Gleich hatte sie die Scheune erreicht und links dahinter ragte das riesige Blockhaus auf. Er schaffte es immer wieder, dass sie ihre Krallen ausfuhr und die Kontrolle über sich verlor. Sie beschleunigte das Tempo nochmals und ertappte sich dabei, den einen oder anderen Laufschritt einzulegen. Hinter sich hörte sie Alexander leise fluchen. Schließlich hatte er sie eingeholt und packte sie am Arm.
»Jetzt bleib endlich stehen, Anna! Verdammt noch mal!«
Erbost versuchte sie sich loszureißen, doch sein Griff war stählern und unnachgiebig. Sie schäumte, was fiel ihm ein! Kraftvoll trat sie ihm gegen das Schienbein und sah mit Genugtuung, dass er sich auf die Lippen biss, doch er ließ sie nicht los.
»Verflucht. Jetzt reicht es aber.«
Er zog sie näher, sie spürte seinen Atem, seine Halsschlagader pulsierte. Was hatte sie ihm bloß getan, dass er so aufgebracht war?
»Du hörst mir jetzt zu, Anna.«
Er sah sich um. Niemand war in ihrer Nähe. Anna wunderte sich, normalerweise ließ man sie keine Sekunde allein. Alexander hielt ihren Oberarm immer noch fest umklammert und schob sie roh in den Stall. Auch hier war niemand zu sehen, die Pferde waren um diese Zeit, ebenso wie Schafe und Kühe, auf der Weide, der Stall ausgemistet und sauber. Grob stieß er sie zu Boden.
»Was fällt dir ein, Alex! Wie kannst du es wagen!« Mit einem Satz war sie wieder auf den Beinen, holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Tu das nie wieder.«
Sie war außer sich, und für einen Moment glaubte sie, er würde zurückschlagen, doch er wischte sich lediglich mit der Hand über die aufgesprungene Lippe und deutete ihr wortlos an, sich wieder zu setzen. Sie dachte gar nicht daran, trat einen weiteren Schritt auf ihn zu und heftete den Blick auf seine aufgerissenen Augen. Was wollte er nur? Ihr Angst machen? Anna schnaubte, das schaffte er nicht.
»Was willst du von mir, Alex? Dich hat überhaupt niemand geschickt, um mich zu holen, stimmt’s?«
Er nickte dürftig. »Hör mir zu.« Seine Stimme bebte.
Anna wich keinen Millimeter zurück. »Ich höre.«
Er holte tief Luft und zog sie schließlich mit sich auf den Boden.
»Ich höre«, wiederholte sie, umschlang ihre Knie und sah demonstrativ an ihm vorbei.
»Du …« Nur mit Mühe gelang es ihm, das Wort herauszupressen.
Er war wirklich außer sich.
»Du … dir gefällt es hier.«
Sie verstand kein Wort, was redete er da?
»Dir gefällt es hier, Anna, jeden Tag ein bisschen mehr. Das sehe ich doch. Aber du musst zurück. Es ist zu gefährlich hier. Ich wollte nicht … habe nicht gewusst …« Seine Stimme klang gequält, es kostete ihn sichtlich Überwindung weiterzusprechen. »Du hast alles verloren. Alles. Du musst zurück. Warum nur musstest du ausgerechnet zur gleichen Zeit in diesem verfluchten Wald sein? Glaubst du, ich sehe nicht, wie gut es dir hier gefällt? Du … du hast viel, viel mehr verloren als ich.«
Sie hatte nicht viel mehr verloren als er. Er war eingesperrt, misshandelt worden, hatte gelitten, wahrscheinlich mehr, als sie sich jemals vorstellen konnte. Der Rest ist verheilt , hatte er gesagt.
»Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben aufs Spiel setzt. Sie wird nicht eher ruhen, bis sie einen von uns erwischt. Ich habe gestern lange mit Noah gesprochen. Sie wird es versuchen, er ist sich ganz sicher. Und wenn sie uns … dich erst einmal hat … Sie wird nicht zimperlich sein, Anna. Ich lasse das nicht zu.«
Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. Sie zwang sich durch tiefes Ein- und Ausatmen, ihren Zorn unter Kontrolle zu bringen. Dummerweise hatte Alexander recht. Es gefiel ihr hier, jeden Tag ein bisschen mehr, und doch hatte sie nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, wie es wäre, hierzubleiben. Sie war nicht darauf versessen, es auf ein Zusammentreffen mit Zwergen, Drachen oder sonstigen Ungetümen ankommen zu lassen, geschweige denn Kyra in die Arme zu laufen.
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