Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
befand sich ein dickes Buch mit vielen Bildern, Pflanzenbeschreibungen, Rezepten und Heilwirkungen.«
Bridget trat erschrocken einen Schritt auf sie zu, ergriff ihre Hand und drückte sie. »Tut mir leid, Anna. Ich wollte dich nicht traurig machen, dich daran erinnern.«
»Ist schon gut.« Anna erwiderte den Händedruck. »Wenn ich etwas gelernt habe in den vergangenen Tagen, dann ist es, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Es ist in Ordnung, sich zu erinnern.«
In den Augen der rothaarigen Frau schimmerte es. Nun war es Anna, die einen weiteren Schritt auf sie zumachte. »Wirklich, Bridget. Ich komme zurecht.«
Noch am selben Abend, als sie sich Alexander anvertraut hatte, erzählte sie den anderen von ihren Eltern. Sie ließ nichts aus, nicht den Spielzeugladen, die Bombennacht, das kleine Zimmer hinter dem Laden, nicht den Hunger und die Armut oder das Hamstern und Bauer Carlson. Auch von Peter hatte sie erzählt. Schließlich hatte sie eine gute halbe Stunde lang geweint und geschluchzt. Nico und Erin hatten aus Sympathie mitgeheult. Seitdem fühlte sie sich wie neugeboren. Zum ersten Mal seit langer Zeit war es ihr gelungen, die eiserne Enge, die sich um ihre Brust gelegt hatte, abzustreifen. Endlich konnte sie wieder frei atmen. Wahrscheinlich hatte sie die anderen fürchterlich erschreckt, als die Tränen in Sturzbächen geflossen waren. An diesem Abend saßen sie noch lange zusammen. Richard hatte ein eigenartiges Brettspiel hervorgezaubert und so spielten und lachten sie bis tief in die Nacht. Für eine kurze Zeit schien es, als gäbe es kein drüben und hier, keinen Hunger dort und keine Verschwörungen und Gefahren in Silvanubis. Sie hatten gescherzt und sich eine Menge Wein gegönnt. Nur Alexander wirkte seltsam still und in sich gekehrt. Anna merkte, wie er sie still und heimlich beobachtete, wenn er sie abgelenkt glaubte. Seither mied er sie, ging ihr aus dem Weg. Hatte sie sich die sanften Finger, die ihr die Tränen von der Wange strichen, den sachten Kuss auf die Stirn nur eingebildet? Nun, wo er nicht mehr an ihrer Gesellschaft interessiert war, fehlten ihr seine Sticheleien. Ein paar Mal hatte sie versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, doch Alexander schien an allem interessiert zu sein, nur nicht an einer Unterhaltung mit ihr.
Entschieden schob sie den unbequemen Gedanken zur Seite und ließ ihren Blick erneut über die gut bestückten Regale schweifen. Alle Gefäße waren sorgfältig beschriftet und säuberlich nebeneinander aufgestellt. Mehr als die Hälfte kannte Anna, der Rest war ihr fremd. Abenteuerliche Namen wie Kristallwurzel, Bitterzucker oder Silberblüte zierten die Dosen.
»Silberblüte«, murmelte Anna vor sich hin.
Es war mit Abstand das kleinste Gefäß in der Sammlung, nicht größer als ein Eierbecher. Sie nahm den winzigen Tiegel aus dem Regal und drehte ihn vorsichtig zwischen den Fingern. Mit einem Satz war Bridget bei ihr und entwand ihr panisch das Gefäß.
»Vorsichtig, Anna. Das ist mein einziger Vorrat an getrockneten Blüten. Wer weiß, wann oder besser, ob ich noch einmal in der Lage sein werde, diesen Tiegel aufzufüllen.«
Anna wich erschrocken zurück. »Bitte, Bridget, nimm ihn nur. Was ist denn eigentlich so besonders an dieser Pflanze?«
Andächtig stellte Bridget das kleine Gefäß zurück ins Regal und setzte sich auf einen der beiden Stühle. »Komm, setz dich zu mir.«
Mit einem leisen Seufzer ließ sie sich auf den freien Stuhl sinken. Sie hatte sich zwar schon recht gut erholt, doch nach der stundenlangen Gartenarbeit spürte Anna deutlich, dass ihre Kräfte noch längst nicht vollständig zurückgekehrt waren.
»Du weißt, die Silberblüte ist die Pflanze, die Kyra neben dem Phönix und einem von euch für ihren teuflischen Plan benötigt«, sagte Bridget. »Sie ist die seltenste und wirkungsvollste Heilpflanze in Silvanubis. Es gibt nur ein einziges Exemplar, das sich auf einem der Plateaus der Nivalis Berge befindet.« Bridget betrachtete Anna mit besorgter Miene und reichte ihr beide Hände über den Tisch. »Es tut mir leid, ich wollte dich eigentlich auch daran nicht erinnern. Hab keine Angst, wir werden alles daran setzen, zu verhindern, dass Kyra euch zu nahe kommt.«
Anna seufzte. »Ich weiß. Erzähl mir mehr von der Silberblüte.«
Die rüstige Frau erhob sich, nahm das winzige Gefäß erneut aus dem Regal, zog den Korken heraus und hielt es Anna unter die Nase. »Hier, riech mal.«
Anna schnupperte und blickte erstaunt auf.
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