Unter dem Georgskreuz
vergeblich. »Nicht einmal um Ihretwillen, Sir!«
Bolitho trat an das Heckfenster und lehnte sich gegen das Glas. »Die Lords der Admiralität, sagten Sie?« Er drehte sich um. Sein Gesicht lag im Schatten. Die weiße Locke in seiner Stirn leuchtete wie ein Farbstrich. »Wir hier sind alle Seeleute. Wir wissen sehr genau, daß jemand sehr viel höheres unser Leben kontrolliert und unsere Verzweiflung hört, wenn es ihm gefällt.«
Tregullon fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Das weiß ich auch, Sir. Aber was kann ich tun?«
Leise sagte Bolitho. »Da draußen sind Männer in Not. Wahrscheinlich voller Furcht, Kapitän Tregullon. Es ist vielleicht schon zu spät, und ich bin mir des Risikos für Sie und Ihr Schiff durchaus bewußt, für Sie und Ihre Mannschaft.«
»Und auch für Sie, Sir.« Doch aller Widerstand war in seiner Stimme erloschen. Er seufzte. »Also gut, ich mache es.« Ärgerlich blickte er auf. »Nicht Ihretwegen, bei allem Respekt, und nicht für seine Majestät, Gott schütze sie.« Er sah auf seinen zerknüllten Hut. »Ich tu’s für mich. Und dabei bleibt’s.«
Bolitho und Avery aßen schweigend ihr Abendbrot. Das ganze Schiff schien den Atem anzuhalten. Nur das Ruder quietschte, und ab und an hörte man oben dumpfe Schritte, die andeuteten, daß sich alles an Bord geändert hatte.
Im ersten Morgengrauen waren Wind und See leichter geworden, wie Bolitho vorausgesagt hatte. Tregullon kürzte Segel. Er hatte jedes Teleskop und jeden Ausguck an Bord eingesetzt, um nach möglichen Gefahren auszuschauen. Er selber beobachtete mit verschränkten Armen die schwindende Dunkelheit und die See, deren Wellen und Kämme erstes Silber trugen.
Avery trat neben Bolitho auf das breite Achterdeck, wo er still an der Luvseite stand. Ungeschützt wehte sein schwarzes Haar in der kalten Luft aus. Ein- oder zweimal sah Avery ihn über sein verletztes Auge streichen. Er schien ungeduldig und mißmutig, daß seine Konzentration gestört worden war.
Kapitän Tregullon trat zu ihnen und sagte rauh: »Wir haben’s versucht, Sir Richard! Wenn’s was gab, sind wir zu spät gekommen.« Er sah Bolitho von der Seite an, als suche er etwas. »Ich lege sie am besten auf einen neuen Kurs!«
Er wollte sich gerade davonmachen, als von oben der Ruf kam, scharf und klar wie der Schrei eines Falken.
»Wrackteile im Wasser, Sir! In Lee!«
Es waren viele Teile. Planken und Hölzer, treibendes Tauwerk und zerschossene oder umgekippte Boote, die meisten verkohlt und zersplittert durch wildes Kanonenfeuer.
Bolitho wartete, bis das Schiff in den Wind gedreht hatte. Ein Boot wurde ausgesetzt mit dem Gehilfen des Masters als Führer.
Es gab auch ein paar Tote. Sie trieben wie Schlafende in den Wellen. Langsam bewegte das Boot sich zwischen ihnen hindurch. Der Bugmann zog mit dem Enterhaken jeden Toten zu sich heran und ließ ihn schnell wieder treiben, als wolle er diese letzte Reise auf keinen Fall aufhalten.
Bis auf einen. Mit dem ließ der Gehilfe des Masters sich mehr Zeit. Selbst ohne Fernglas konnte Avery das Gesicht des Toten erkennen, die klaffende Wunde, alles, was von dem Mann geblieben war.
Das Boot kehrte zurück und wurde ohne viel Aufhebens an Bord zurückgehievt. Avery hörte den Master Befehle für den neuen Kurs geben, dumpf und ohne Eile. Wie immer kam das Schiff zuerst.
Dann kam er nach achtern und wartete darauf, daß Bolitho sich ihm zuwandte. »Mein Maat kannte den letzten Toten, Sir Richard. Ich glaube, wir kannten die meisten.«
»Sie sind von der
Royal Herald
, nicht wahr?« fragte Bolitho.
»Sie waren es, Sir. Als wir die Vorstenge verloren, hat sie uns überholt. Man hat ihr aufgelauert. Man wußte, daß wir kamen.« Dann flüsterte er rauh: »Sie waren hinter Ihnen her, Sir Richard. Sie wollten Sie töten!«
Bolitho berührte seinen kräftigen Arm. »Das scheint mir auch. Statt meiner starben viele gute Männer.«
Dann drehte er sich zu Avery und zu Allday um. »Und wir dachten, wir haben den Krieg hinter uns gelassen, Freunde. Jetzt ist er wiedergekommen und wartet auf uns.«
Er sprach ohne Ärger oder Bitterkeit. Nur mit Sorge. Die Ruhe war vorüber.
Ein Gesicht in der Menge
Bolitho setzte die leere Tasse ab und ging langsam auf das hohe Heckfenster zu. Um ihn und über ihm schien die
Indomitable
vom vielen Kommen und Gehen zu beben – ganz anders als die
Royal Enterprise
, die er gestern nachmittag verlassen hatte. Er sah sie durch das dicke Glas hindurch vor Anker liegen. Mit
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