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Unter dem Georgskreuz

Unter dem Georgskreuz

Titel: Unter dem Georgskreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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hohläugige Commander Borradaile in seinem Teleskop gehabt hatte: groß, gut bewaffnet und ganz sich selbst überlassen.
    »Ich würde den Südwestwind nutzen und dem Konvoi nachsetzen, selbst jetzt noch. Ein langer Weg und ein Risiko, wenn man wenig weiß. Doch ich glaube, unser Mann hat genügend Kenntnisse.« Von Deck waren gedämpfte Jubelrufe zu hören. Er erhob sich aus dem Sessel und trat an die Heckfenster. »Die
Alfriston
ist auf dem Weg, James!«
    Tyacke musterte ihn mit Zuneigung und Betroffenheit. Immer wenn er meinte, er kenne diesen Mann nun, entdeckte er Neues an ihm. Er sah, daß Bolitho sein linkes Auge mit der Hand beschattete, und fand Trauer und Nachdenklichkeit in seinen Zügen. Er dachte an den Brief, den die Brigg jetzt beförderte. Er hatte endlose Meilen vor sich und würde von Schiff zu Schiff transportiert werden, ehe Lady Catherine Somervell ihn öffnen und lesen würde. Vielleicht dachte er auch an seine Unabhängigkeit als sehr junger Commander, als jeder Tag noch eine Herausforderung, keine Last war. Ein stolzer Mann und ein empfindsamer zugleich, der die Hand seines sterbenden Gegners nach dem letzten und bedeutendsten Gefecht der
Indomitable
gehalten hatte. Der seinen Bootsführer getröstet hatte, als auch Alldays Sohn in jenem Gefecht gefallen war. Er kümmerte sich um andere, und wer das wußte, liebte ihn deswegen. Die anderen gaben sich mit der Legende zufrieden. Und doch lag bei ihm die Aufgabe, die Männer der
Reaper
an der Rah aufzuhängen. Tyacke hatte vom Ruf des Kommandanten der
Reaper
nur gehört. Aber das reichte ihm schon.
    Bolitho drehte den Rücken der See zu. »Ich stimme Ihnen zu, James. Wir bleiben hier auf Station.« Er trat an den Tisch mit den offenen Depeschen zurück. »Noch einen oder zwei Tage. Danach, denke ich, ist die Entfernung zu groß.« Er lächelte. »Selbst für unsere Gegner.«
    Tyacke griff nach seinem Hut. »Ich werde unseren Begleitern die entsprechenden Befehle geben, wenn wir um zwei Glasen unseren Kurs ändern, Sir!«
    Bolitho nahm wieder Platz und legte den Kopf gegen das warme grüne Leder. Er dachte an den Mai in Cornwall, die Zeit reinster Farben, mit Tausenden von Glockenblumen, einem glänzenden Meer… Bald war es Juni. Er spürte, wie seine Finger sich in die Armlehnen des Sessels gruben, den sie für ihn hatte machen lassen. So lange her war das, so lange her.
    Die gewohnten Geräusche verstummten. Das Sonnenlicht quälte ihn nicht weiter, als Ruder und Wind das Schiff dirigierten.
    Erst jetzt nahm er den Brief aus seiner Jackentasche. Er preßte ihn gegen das Gesicht, gegen die Lippen.
    Dann öffnete er ihn mit großer Erwartung und wie immer mit der gleichen Unsicherheit – ja sogar mit Furcht.
    Mein liebster, geliebter Richard…
Jetzt war sie bei ihm. Nichts hatte sich verändert. Die Furcht war verflogen.
    Leutnant George Avery stellte in seiner winzigen Kammer die Füße gegen seine Seekiste und starrte an die Decke. Gelegentlich hörte er Schritte auf den nassen Planken. Männer rannten, um Lose aus dem laufenden Gut zu nehmen.
    Draußen war es stockdunkel, viele Sterne, aber kein Mond. Er überlegte, ob er an Deck gehen sollte. Doch er wußte, er würde dem Wachhabenden nur im Wege stehen oder, schlimmer noch, als Abgesandter gesehen werden, der ihr Fortkommen beobachten und darüber berichten sollte. Er sah auf seine sanft schaukelnde Koje und mochte sie nicht. Was sollte sie? Er würde nicht schlafen können, jedenfalls nicht lange. Seine Zweifel würden wiederkehren und ihn quälen. Er dachte an die Messe. Dort würde sicher jemand sitzen, der genau wie er nicht schlafen konnte oder auf einen Partner für ein Kartenspiel wartete. Wie damals Scarlett, der Erste Offizier der
Indomitable
, als Bolitho dort zum ersten Mal seine Flagge gesetzt hatte. Er war so erpicht auf ein eigenes Kommando und war äußerlich auch ein guter Offizier gewesen, doch innerlich wurde er in den stummen Wahnsinn getrieben durch seine steigenden Schulden, durch seine Unfähigkeit, das Spielen aufzugeben, und durch die verzweifelte Anstrengung, gewinnen zu müssen.
    Er dachte an die
Alfriston
und den Brief, den er zwischen den Seiten eines Buchs auf Bolithos Tisch entdeckt hatte. Neid? Nein, dies ging tiefer. Selbst die ungewöhnliche Freude, einen Brief an Allday vorzulesen, war ihm heute versagt geblieben. Unis hatte diesmal nicht geschrieben, und Avery wußte, welche Sorgen er sich machte. Die Trennung verwirrte ihn, weil er sie immer noch nicht

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