Unter dem Georgskreuz
nötig.« Averys dunkle Blicke beschäftigten ihn. Sie schienen sehr abwesend und doch auf eine seltsame Art auch sehr zufrieden.
»Was ist los, George? Haben Sie wieder ein Geheimnis?« Avery schaute ihn an und nahm sich ein Herz. Er hatte auf dem langen Weg von den Schiffe n bis zu diesem Platz voll mit marschierenden Soldaten und gebrüllten Befehlen alles gründlich abgewogen.
»Ich habe einen Brief bekommen, Sir. Einen Brief«, sagte er.
Bolitho drehte sich auf der Stelle um und packte sein Handgelenk. »Einen Brief? Heißt das etwa…?«
Avery lächelte ziemlich verlegen und sah sehr viel jünger als sonst aus.
»Ja, Sir. Von einer Dame.«
Draußen im sonnenüberfluteten Flur sah er Keen auf einem Ledersofa neben der jungen Frau.
Er beobachtete, wie sie die Miniatur hin und her drehte und erinnerte sich an ihr ruhiges Gesicht, als er sie ihr gegeben hatte. Resignation? Oder ging es tiefer?
»Das war sehr lieb von Ihnen. Ich wußte nicht…«
Er sah ihre Lippen beben und fragte: »Gibt es irgend etwas, das ich für Sie tun kann, haben Sie einen Wunsch, den ich erfüllen kann, solange ich hier in Halifax das Kommando habe?«
Sie sah ihm direkt in die Augen. »Ich werde zusammen mit meinem Vater bei den Massies wohnen. Sie sind… alte Freunde.« Sie senkte den Blick. »Oder so was ähnliches.« Dann blickte sie wieder auf die Miniatur: »Ich war damals etwas jünger!«
»Es ist…« begann Keen. Er verhedderte sich. »Sie sind sehr tapfer und sehr schön.« Er versuchte zu lächeln, seine eigene Spannung loszuwerden. »Seien Sie bitte nicht verletzt. Das möchte ich auf gar keinen Fall.«
Sie sah ihn wieder mit unbewegtem Blick an. »Sie haben mich sicher für eine Närrin gehalten, jemand Unbedarftes in dieser unbekannten Welt. Über so ein Dingelchen lacht man gemeinsam, wenn man in der Messe unter sich ist.« Sie streckte ihre Hand aus, spontan, doch so unsicher wie er. »Behalten Sie das, wenn Sie mögen. Ich habe dafür keine weitere Verwendung.« Doch diese leichtherzige Stimmung hielt nicht an. Sie sah ihn die Miniatur annehmen, seine Wimpern waren ganz hell gegen die braune Haut, als er sie genau ansah. »Achten Sie auf sich. Ich werde an Sie denken.«
Sie ging den langen Gang entlang. Doch sie drehte sich nicht um.
Er sagte nur: »Und ich werde davon abhängen.« Langsam kehrte er in das Zimmer des Generals zurück. Natürlich konnte so etwas nicht geschehen. Es konnte einfach nicht geschehen, nicht noch einmal. Und doch war es so.
Adam Bolitho blieb auf der obersten Stufe stehen und sah an dem Laden hoch. Die Sonne brannte, und über den Dächern spannte sich ein so tiefblauer Himmel, daß er sich kaum noch vorstellen konnte, daß noch vor kurzem große Schneewehen diese Straße bedeckten.
Er stieß die Tür auf und mußte lächeln, als eine Glocke ertönte, um seinen Eintritt zu melden. Es war ein kleiner, eleganter Laden, der seinem Gefühl nach gut nach London oder Exeter gepaßt hätte.
Wie auf ein vereinbartes Signal hin begannen ein Dutzend oder mehr Uhren zu schlagen, große und kleine, reich geschmückte, solche, die auf den Kaminsims oder ins Herrenzimmer gehörten, Uhren, deren Figuren sich bewegten oder Mondphasen zeigten. Und eine war auch dabei mit einem schönen Square Rigger, der bei jeder Pendelbewegung auf und ab stieg. Ihm gefielen alle, und als er sie sich genauer ansah, trat ein kleiner Mann in dunkler Jacke durch einen Gang an den Verkaufstisch. Mit schnellem und geübtem Blick prüfte er die Uniform, die goldenen Schulterstücke und den kurzen gebogenen Säbel.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Kapitän?« »Ich brauche eine Uhr. Man sagte mir…« Der Mann legte ein langes Tablett auf den Tisch. »Von diesen hier ist jede geprüft und verläßlich. Nicht neu, nicht ungetestet, sondern von gutem Ruf. Wie alte Freunde.«
Adam dachte an das Schiff, das er gerade vor Anker zurückgelassen hatte. Es war unmöglich, die eroberte amerikanische Fregatte
Chesapeake
im Hafen zu übersehen. Er hatte sie auch schon von der
Valkyrie
aus gemustert. Ein wirklich schönes Schiff. Er konnte sich sogar vorstellen, daß er sie selber gerne einmal geführt hätte. Doch mit dem Wunsch verbanden sich keine Gefühle: Der Verlust der
Anemone
war für ihn immer noch, als sei etwas von ihm gestorben. Die
Chesapeake
war von ihrem siegreichen Gegner
Shannon
nach Halifax eskortiert worden – am sechsten Juni.
Mein Geburtstag.
An seinem Geburtstag hatte Zenoria ihn auf dem Pfad über den
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