Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Schreien andere Kinder auch los, sobald man vor einer roten Ampel zum Stehen kommt? Schläft es endlich? Aber warum so lange?
Denn pennt er nicht, bin ich nicht froh. Pennt er meiner Meinung nach zu lange, ist mir das auch nicht recht, und ich rüttle mal ein bisschen an ihm rum. Mein Sohn, eine ziemliche Schnarchnase, ist wahrscheinlich das erste Baby, das froh ist, wenn seine Mutter endlich durchschläft.
In den ersten Wochen gibt es nichts, was normal ist. Bereits auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause hatte ich bemerkt, dass sich in meiner kurzen Abwesenheit die ganze Welt verändert hatte.
Bäcker, Post, Park: Sollte mir alles vertraut sein, aber es kam mir vor, als sei ich Ewigkeiten fort gewesen. War ich ja auch. Eine Ewigkeit von vier Tagen.
Die Fahrt nach Hause dauerte zwanzig Minuten. Mein Kind, dreieinhalb Kilo schwer und dreiundfünzig Zentimeter klein, saß hinter mir in der heiklen Babyschale, der Vater neben mir, sehr umsichtig fahrend.
Wir sind zu dritt! Und ich wunderte mich zutiefst, dass sich rechts und links keine begeistert jubilierenden Menschenmassen eingefunden hatten, um uns willkommen zu heißen. Wo waren die Spruchbänder, wo die ausgelassen tanzenden Grüppchen, wo die Musikanten, wo die eigens engagierten Artisten?
Ihr Leute in den Autos und auf den Bürgersteigen, habe ich gedacht, merkt ihr es denn nicht? Die Welt ist nicht mehr so, wie sie war. Denn: Mein Baby ist da!
An der ersten roten Ampel stieg ich zur Sicherheit aus, um kurz zu überprüfen, ob das auch stimmte und ob es noch atmete. Ja, Tatsache, stellte ich erleichtert fest: Mein Baby ist da!
In der ersten Nacht zu Hause schlief ich aus zwei Gründen schlecht. Erstens vor Aufregung, weil neben mir im Beistellbettchen mein Sohn lag. Und zweitens, weil die kostbaren Wolle-Seide-Stilleinlagen im feuchten Muttermilch-Milieu meines BHs einen unerträglichen Gestank nach altem, nassem Schäferhund ausdünsteten.
Gleich am nächsten Morgen befahl ich meinem Mann, im Drogeriemarkt selbstklebende Einweg-Stilleinlagen zu kaufen.
Mein Leben ist mit einem Mal voll von tückischen Objekten, voller hinterhältiger Gegenstände, mit denen sich das Zusammenleben nicht immer einfach gestaltet.
Mit meinem Sohn kamen gleichzeitig eine Babyschale für die Autorückbank auf die Welt, mehrere langärmelige Bodys mit Bändchenverschluss und ein Kinderwagen inklusive Regenabdeckung.
Den Einsatz all dieser Dinge sollte man besser ein paarmal in Situationen üben, wenn es nicht darauf ankommt, dass sie funktionieren.
Der Kinderwagen zum Beispiel ist nicht «mal eben schnell» in den Kofferraum zu verpacken, wie ich zehn Minuten vor einer Verabredung feststellte. Die Gebrauchsanweisung lag im Keller, der Wagen unvollständig zusammengeklappt auf der Straße, ein Rad rollte Richtung Westen, und aus dem Auto kam Gebrüll in einer Lautstärke, die man einem halben Meter Mensch nicht so ohne weiteres zutraut.
Auch die Babyschale samt Baby im Auto festzuschnallen, ist eine dreidimensionale Hirnleistung, die jemandem wie mir nicht leicht von der Hand geht. Ich baue auch «IKEA»-Stühle grundsätzlich verkehrt herum zusammen. Und die schreien noch nicht mal.
Zu meinem mangelnden handwerklichen Talent kommt wie bei vielen neugeborenen Müttern noch die sogenannte Still-Amnesie dazu. Eine Vergesslichkeit und Tüdeligkeit, die angeblich hormonell bedingt ist.
Verbürgt ist die Geschichte von der Frau, die beim Spaziergang überraschte Blicke erntete, weil sie nach dem Stillen vergessen hatte, die zuletzt benutzte Brust wieder einzupacken.
Johanna hat mehrmals die Babyschale auf dem Fahrersitz angeschnallt. Meiner Nachbarin Maria war der Vorname ihrer Schwiegermutter entfallen, ich habe meinen PIN-Code mit der Telefonnummer meines Mannes verwechselt und gleich in der ersten Woche die Schnuller, die ich abkochen wollte, auf dem Herd vergessen. Der Topf war hinüber, die Schnuller sahen aus wie verkohlte Hähnchenteile, und der beunruhigende Geruch von versengtem Plastik hing noch tagelang in der Küche.
Schnuller und Feuchttücher haben sich sehr rasch als zwei der absolut unverzichtbaren Accessoires für das zufriedenstellende Zusammenleben mit unserem Kind herausgestellt.
Mein Schlömchen, so die neueste Verniedlichungsform, ist ein zweihundertprozentiges Säugetierchen. Er bevorzugt zum Einschlafen zwei Schnuller: einen im Mund und einen in der Hand.
Mein Mann findet das in erster Linie unmännlich. Ich finde es in erster Linie
Weitere Kostenlose Bücher