Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Jolie und Brad Pitt.
Die Schwangerschaftshosen passen nicht mehr. Alle anderen sind so dramatisch zu eng, dass ich mir nicht vorstellen kann, jemals hineingepasst zu haben.
Heute habe ich mir tatsächlich – wie tief kann ein Mensch sinken? – bei «Tchibo» einen langen, weißen Rock in Einheitsgröße gekauft. Die Verkäuferin warf einen wohlwollenden Blick auf mich und fragte: «Wann ist es denn so weit?»
4. Juni
Scheiße, die Sonne scheint. Werde ich jemals wieder einen Bikini tragen können, ohne ein öffentliches Ärgernis darzustellen?
5. Juni
Scheiße, mein Leben ist vorbei. Ich werde nie wieder schnellen Sex auf schmutzigen Toiletten haben. Ich bin jetzt für immer Mutter.
PS: Das Schlimmste daran: Ich hatte noch nie schnellen Sex auf schmutzigen Toiletten.
6. Juni
Scheiße, ich habe schon Halluzinationen. Wenn ich dusche, ein Steak anbrate oder Musik anstelle, höre ich mein Baby schreien. Jedes Mal. Dann mache ich alles aus und horche. Stille. Nach zwei Minuten wieder. Mütter hören ihre Babys schreien, auch wenn sie nicht schreien. Crazy.
7. Juni
Scheiße! Treffen mit den Chefredakteuren der «Brigitte» im Verlagshaus. Patentante Mona passt in ihrem Büro auf Schlömchen auf. Ich trage zum ersten Mal seit langem wieder hohe Schuhe und eine gebügelte Bluse.
Ich stille meinen Sohn noch kurz, bevor ich gehe. Sein Bäuerchen kommt schneller und reichhaltiger als erwartet. Säuerliche Milch, versetzt mit halbverdauten Bröckchen auf Bluse und im Haar.
Ich begrüße meine Chefs mit den Worten: «Entschuldigt bitte, ich rieche nach Kotze.»
8. Juni
Scheiße, mein Sohn wird erwachsen! Schon passen ihm die Windeln für Neugeborene nicht mehr, und aus den ersten Stramplern ist er auch rausgewachsen. Bald bekomme ich bloß noch einmal im Jahr eine Weihnachtskarte von ihm und meiner bösen, bösen Schwiegertochter.
Bin untröstlich.
Was ist eigentlich los mit mir? Warum bin ich nicht glücklich? Warum geht mir alles so nah? Warum habe ich so viele Ängste?
Neulich war mein Mann drei Tage und zwei Nächte auf Dienstreise. Meine Horrorvorstellung: Ich falle die Treppe runter, kippe im Bad um oder sterbe einfach so im Bett, mitten in der Nacht.
Mein Baby wacht auf, schreit vor Hunger, schreit und schreit, bis es zu schwach ist, um weiterzuschreien. Mein Mann findet bei seiner Heimkehr zwei Leichen.
Albern? Natürlich! Dämlich? Klar! Unwürdig für einen Menschen, der einmal klar denken konnte? Genau!
Aber trotzdem nicht zu ändern.
«Das ist normal», sagt mein Frauenarzt, bei dem ich zur Kontrolle war. Beim Ultraschallblick in meinen leeren Bauch hätte ich auch schon wieder losheulen können.
«Bei frischen Müttern sind sämtliche Schutz- und Filtersysteme ausgeschaltet, damit sie ihr Baby beschützen können. Sie sind jetzt hochempfindlich. Das muss so sein.»
«Aha. Und was ist damit? Muss das auch so sein?» Ich deutete anklagend auf meinen labberigen Bauch, meine quallenweichen Oberschenkel und auf meinen Bauchnabel, der einmal hübsch und klein gewesen war und jetzt so aussah wie das Triefauge von Karl Dall.
«Ich habe schon Schlimmeres gesehen», sagt mein Frauenarzt. «Ihr Körper hat während der Stillzeit einen Hormonspiegel wie in den Wechseljahren. Das Gewebe bleibt weich. Das ändert sich erst langsam nach dem Abstillen.»
Na, da freue ich mich doch jetzt schon auf die Wechseljahre.
Ich muss sagen, derjenige, der sich den weiblichen Körper und seinen Werdegang ausgedacht hat, war mit Sicherheit kein Feminist.
«Kinder sind fremde Leute.»
GOTTFRIED BENN
15. Juni
W enn man die ersten anderthalb Monate mit einem neuen Mitbewohner hinter sich hat, kennt man sich einigermaßen. Sollte man meinen. Das ist im Falle eines frisch zugezogenen Säuglings nicht so.
Das Baby an sich erweist sich schnell als unberechenbar und überrascht den Rest der Wohngemeinschaft nahezu täglich mit neuen Schrulligkeiten.
Ich warte auf das erste Lächeln. Stattdessen kommen immer mehr Pickel. «Neugeborenen-Akne» nennt man das. Erstaunlich, wie viel davon in so einem kleinen Gesichtchen Platz hat.
Beim Wickeln pinkelt mein Sohn gerne sich oder auch anderen sehr gekonnt ins Gesicht. Und wenn er kackt, kannst du danach im Grunde genommen renovieren. Seine Exkremente verlassen seinen Mini-Darm mit einem derart bedrohlichen Brodeln, wie man es sonst nur aus Katastrophenfilmen kennt.
Waren es bis vor kurzem noch die von mir inbrünstig gesungenen ungarischen Wiegenlieder, die den
Weitere Kostenlose Bücher