Unter dem Räubermond
von diesem Ende der Senke aus zu sehen. Die einen lachten, die anderen murrten böse. Zwei trugen das letzte, noch nicht angebrochene Fässchen.
Fünf Schritt vor dem Leichnam blieben sie stehen und verstummten. Dann hoben sie langsam die Blicke aus plötzlich nüchtern gewordenen Augen. Die Phalanx stand mit glänzenden Schilden da, stach in die Luft über ihren Köpfen. Über die Düne kamen, schimpfend und krakeelend, ein paar Nachzügler, doch als sie sahen, was los war, schwiegen auch sie.
»Scharlach will immer noch wissen, wer die Geiseln getötet hat«, ertönte wieder Aliyats gelangweilte Stimme. »Sie sol len selber vortreten. Damit die Unschuldigen keinen Schaden nehmen. Oder behauptet ihr immer noch, dass alle schuld sind?«
In der Menge kam Verwirrung auf. Auf jemanden wurde eingeredet. Vorerst im Guten.
»Da wir wenig Zeit haben, werde ich langsam bis fünf zählen. Eins …«
»Der war das!«, schrie jemand verzweifelt und zeigte auf den rauchenden, verkohlten Leichnam. »Er hat sie umgebracht!«
»Zwei …«
Die Menge kam in Bewegung, brüllte auf. Man hörte Zähne knirschen.
»Drei …«
Zwei wurden herausgestoßen. Der eine fiel sofort auf den Sand und begann zu brüllen, wand sich wie ein Wurm und hielt wer weiß warum die Arme vor den Kopf. Der andere stand da und schaute sich hilflos um.
»Vier …«
Der riesige finstere Schiffsläufer mit dem an der Schulter aufgerissenen Kittel trat von selbst aus der Menge. Er zischte »War-rane« – wobei freilich unklar blieb, wen er meinte – und blickte gen Himmel.
»Fünf!« Aliyat gab der Phalanx ein Zeichen, die Schilde höher zu neigen, und ging direkt auf die drei Schiffsläufer zu.
»Ihr seid an Scharlach geraten?«, erkundigte sie sich leise, drohenden Tones. »Dann merkt euch: Bei Scharlach geht es streng zu …« Und schon im Umdrehen warf sie wie beiläufig über die Schulter hinweg hin: »Diesmal verzeiht er euch. Aber nur dieses eine Mal.«
Hinter ihrem Rücken trat Stille ein – sie wagten es nicht zu glauben.
»Ah …?«, setzte jemand in der Menge an.
Aliyat wandte sich um. Der Sprecher, außerstande, den Satz zu Ende zu bringen, deutete fragend zu dem zusammengekrümmten und verkohlten Körper hin. Aliyat warf einen bedauernden Blick auf den Toten.
»Ihm war befohlen stehen zu bleiben, aber der Dummkopf hat nicht gehorcht … Riybra! Führe die Leute weg …«
Und während Aliyat zum Samum ging, machten ihr alle eilig, um nicht zu sagen erschrocken, den Weg frei. Als sie Ar-Scharlachi erreicht hatte, blieb sie stehen und schaute ihn schräg an. Siehst du wohl? Wir können auch so einiges.
Ar-Scharlachi schluckte, schaute noch einmal zu dem schwar zen Körper in den glimmenden Fetzen hin. Gut, dass wenigstens der Wind nicht von dorther wehte …
11
Proviant von Ar-Maura
I ch hab’s gewusst!«, sagte Aliyat in einem schrecklichen Flüsterton und schob, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, beide Riegel vor. »Es wird von Tag zu Tag schlimmer! Wenn du wenigstens von innen abgeschlossen hättest …!«
Völlig entspannt auf dem Bett ausgestreckt, das einst dem Karawanenführer Chaïlsa gehört hatte, versuchte sich Ar-Scharlachi aufzustützen. Es gelang ihm nicht, und mit einem schuldbewussten Lächeln (der Schleier hing ihm vor der Brust) ließ er sich stöhnend wieder auf die Bettdecke sinken.
»Gleich gehe ich hinaus«, drohte Aliyat, »und sage allen, wer du in Wahrheit bist!«
Ar-Scharlachi unternahm hoffnungsvoll einen Versuch, sich aufzurichten, und rutschte mit den Ellbogen auf dem Bett umher. »Hör … s-sag’s doch …«, stieß er inbrünstig, mit Tränen in den Augen hervor. »Ich … k-kann nicht m-mehr …«
Ohne ihn weiter zu beachten, begann Aliyat, nacheinander sämtliche Schränkchen zu öffnen, bis sie das richtige fand. Sie löste den Schleier und machte sich auf die Suche. Eins nach dem anderen nahm sie Fläschchen und Glasröhrchen aus ihren Halterungen, entkorkte sie, roch daran, verschloss sie wieder und stellte sie zurück. Bald war das Gesuchte gefunden. Nachdem sie daran gerochen hatte, fuhr Aliyat zurück und schnappte nach Luft. Eilig stellte sie das Röhrchen mitsamt dem Stopfen zurück, schloss fest die Augen und fasste sich mit zwei Fingern an die Nasenwurzel.
Als sie wieder Luft bekam, blinzelte sie die Tränen weg und nahm sich Ar-Scharlachi vor. Das Röhrchen weit von sich haltend, zog sie mit der freien Hand den Kopf ihres Opfers an den Haaren hoch, dann hielt sie
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