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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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was ich sage …«
    Seit dem Krieg, also schon seit fünf Jahren, hatte Ar-Mauras Schatten nichts dergleichen erlebt. Zwei Kriegsschiffe, die mitten im Hafen haltmachten, spuckten durch die aufgerissenen Luken eine ansehnliche Menge Leute aus, die am Rande des rasch kürzer werdenden Schattens ausschwärmten. Dann wurden die Stoffhüllen von den Kampfschilden gerissen, und vor den erstaunten und beunruhigten Hafenbediensteten erstrahlte eine kampfbereite Phalanx von unerhörtem Ausmaß. Woher sollten sie wissen, dass die reichliche Hälfte dieser Truppe, die da aus heiterem Himmel über sie gekommen war, zum ersten Mal im Leben einen Kampfschild in Händen hielt?
    Vor dem gewaltigen Vorderrad des Samum wurde ein Teppich ausgelegt, in dessen Mitte auf dem Hocker des ehrwürdigen Chaïlsa Ar-Scharlachi Platz nahm, mürrisch und vom Vortag her verkatert. Neben seinem rechten Fuß stand die Sanduhr in der Kupferfassung.
    »Für den Anfang die Baracke«, befahl Ar-Scharlachi heiser, und bald schon brannte das hölzerne Bauwerk. Zuerst flammte das mit Palmblättern gedeckte Dach auf, dann griff das Feuer auf das Balkengerüst über.
    Vom Deck des Samum wurde dem Hafenvorsteher signalisiert, er solle sich ohne Begleitung nähern. Der erschrockene Alte warf verwirrt die Arme hoch, dann fasste er sich schließlich ein Herz und kam zu den Räuberschiffen gehinkt. Als er vor dem Anführer stand, seufzte er leise – offensichtlich hatte er den Gefangenen erkannt, den er vor ein paar Tagen mit der Postgaleere nach Harwa geschickt hatte.
    »Den Richter zu mir«, knurrte Ar-Scharlachi. »Und zwar so … Du siehst die Uhr? Wenn der Sand durchgelaufen ist, drehen wir sie um und zünden noch irgendwas an … Er soll sich also beeilen …«
    … Ehe auf dem ungepflasterten, sich zwischen den Palmen hindurchwindenden Weg die geschlossene Sänfte erschien, die von vier Dienern fast im Laufschritt getragen wurde, hatten sie die Uhr zweimal umgedreht. Im Hafen war es laut: Die mit Sand beworfenen Flammen knisterten und heulten, Menschen mit wehenden Kitteln rannten schreiend umher. Getreu seinem Wort hatte Ar-Scharlachi noch zwei Gebäude angezündet, doch als die Wächter und ein Teil der Einwohner es wagten, vor seinen Augen den Brand zu löschen, hatte er sie nicht daran gehindert.
    Zur allgemeinen Verwunderung stieg aus der Sänfte keineswegs der Richter, sondern der junge nacktfressige Sekretär. Er stürzte auf Ar-Scharlachi zu, deutete im Laufen eine Verbeugung an.
    »Der ehrwürdige Ar-Maura bittet den ehrenwertesten Schar lach um Vergebung«, sprudelte er hervor, leicht außer Atem, »und bedauert zutiefst, dass er, von Krankheit ans Bett gefesselt, dem Ehrenwertesten nicht selbst seine Hochachtung bezeugen kann …«
    »Was hat er denn?«, unterbrach ihn Ar-Scharlachi und runzelte verständnislos die Stirn.
    Das Gesicht des jungen Mannes trübte sich ein, und er breitete entschuldigend die Hände aus. »Die Gicht …«
    »Seit Langem?«
    »Seit gestern Abend …«
    »Aha«, sagte Ar-Scharlachi unzufrieden. »Und mit wem soll ich verhandeln? Mit dir?«
    »Der ehrwürdige Ar-Maura hat geruht, meine bescheidenen Fähigkeiten unverdient hoch einzuschätzen …«, setzte der Sekretär an.
    »Klar doch«, fiel ihm Ar-Scharlachi ins Wort. »Mit dir also.«
    Er bewegte die Brauen, als zweifle er daran, sich auf diesen Ersatz einzulassen. In Wahrheit versuchte er einfach, seine Gedanken zu ordnen.
    »Der ehrwürdige Ar-Maura«, wagte der Sekretär einzuwerfen, »ist bereit, alles zu tun, um seine Schuld an jenen unangenehmen Ereignissen wettzumachen, die …«
    Doch da hob Ar-Scharlachi mit Mühe die schwer gewordenen Lider, und der Sekretär verstummte.
    »Erstens brauche ich Proviant«, sagte Ar-Scharlachi. »Und zwar unverzüglich. Wenn du sagst, dass das Lagerhaus leer ist, zünden wir es an.«
    »Das Lagerhaus ist voll Proviant«, beruhigte ihn der Sekretär eilig. »Und … wer wird ihn einladen?«
    Ar-Scharlachi streckte träge die etwas zittrige Hand aus, und der junge Mann schaute hinter sich.
    »Dort, sehe ich, steht ein Postschiff … Die Schiffsläufer losketten, sie sollen einladen. Je schneller die drei Schiffe beladen sind, umso besser für euch.«
    »Drei …?« Der Sekretär blinzelte, dann schaute er sich noch einmal zu der Postgaleere um, leckte sich die Lippen und nickte. »Verstehe …«
    »Zweitens …« Ohne sich umzudrehen, schnippte Ar-Scharlachi mit den Fingern, und ihm wurde ehrerbietig ein Pergament in die

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