Unter dem Safranmond
grob hinzu, »ich will nicht, dass Sie später sagen, ich hätte mich nicht um Sie gekümmert.« Maya gehorchte widerwillig, und er ließ den milchigen Saft in ihre Handflächen tropfen. »Jetzt so machen.« Er legte den Ast beiseite, tupfte, rieb seine eigenen Handflächen gegeneinander und nickte zufrieden, als Maya es ihm gleichtat.
»Warum tun Sie das?«, fragte Maya, während Rashad weitere Schnitte in die junge Rinde setzte und hob ihre Hände flach an, die klebrig waren vom Saft des Zweiges, der auf angenehme Art leicht auf ihrer Haut brannte und kühlend wirkte. Rashads Zähne blitzten kurz auf. »Weil Sie uns kostbar sind.«
»Kostbar?« Maya war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte, ob er auch wirklich das Wort gewählt hatte, das ihm vorschwebte.
Rashad schwieg einen Moment, anscheinend ganz darauf konzentriert, jedes Quäntchen der heilsamen Flüssigkeit aus dem Zweig zu holen. Während er den Saft erneut auf Mayas Handflächen träufelte, antwortete er: »Ich will Sie ohne Schaden Ihren Leuten zurückgeben, soweit es in meiner Macht steht. Dafür bürge ich mit meiner Ehre.«
»Das verstehe ich nicht.«
Ein Lächeln flog über sein Gesicht. »Nein. Das können Sie auch nicht.«
»Erklären Sie es mir?«, hakte Maya schüchtern nach einer kleinen Pause nach. Sie glaubte schon, er würde sie ohne Antwort lassen, als er langsam zu sprechen begann, und es klang, als müsste er jedes Wort sorgsam auswählen und abwägen.
»Hier im Süden ist das Leben streng nach alten Gesetzen geregelt. Gesetze für das Verhalten in der Familie, zwischen Männern und Frauen, Vätern, Müttern und Kindern, zwischen Alt und Jung. Das Verhalten in einem Stamm, zwischen den Stämmen, gegenüber dem Sultan, zwischen den Sultanaten.«
»Wie sie im Koran stehen?«, warf Maya ein, stolz darauf, dass sie von Richard so einiges über die arabische Welt gelernt hatte. Rashad lachte leise.
»Manche, ja. Aber im Vergleich mit unseren Bräuchen ist unser Glaube noch sehr jung. Und wir halten unsere Bräuche hoch. Sie haben unsere Stämme durch harte Jahre geleitet und am Blühen gehalten, soweit unsere Abkunft zurückreicht. ›Das Erbe deines Vaters ist mehr wert als Jahre des Lernens ‹ , sagt man bei uns. Wir sind stolz darauf, dass nichts und niemand uns je diese Bräuche und den Stolz darauf nehmen konnte. Zuallererst sind wir Stammesleute, dann erst Gläubige. So war es immer, und so soll es auch bleiben.« Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Eines dieser Gesetze heißt sayyir . Es regelt das Verhältnis zwischen zwei Stämmen. Wenn ich als ein al-Shaheen mich auf einem Gebiet bewege, das einem anderen Stamm gehört, und wir mit ihm ein sayyir haben, muss der gesamte Stamm dafür sorgen, dass ich unbeschadet dieses Gebiet auch wieder verlassen kann. Sie, Maya, stehen im Gesetz des rafiq zu mir. Rafiq bedeutet, einem Fremden vorübergehend den Schutz eines Stammes zu gewähren. Ich habe Sie oben am Turm des Schweigens auf eine gewisse Zeit unter den Schutz meines Stammes gestellt. So lange, bis ich Sie in Ijar wieder Ihren Leuten übergeben kann.«
Maya grübelte über seine Worte nach, die zunächst keinen Sinn zu machen schienen, bis sie zu verstehen glaubte. » Rafiq bedeutet also mir aufgezwungenen Schutz – auf einer Reise, die ich nicht will?«, fasste sie seine Erklärung in ihren eigenen Worten zusammen.
Rashad lachte. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen…Ja, so ist es. Zumindest bei Ihnen jetzt.« Er machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr: »Zu einem rafiq gehört auch immer die Zahlung eines Entgeltes. In diesem Fall wollen wir für diesen Schutz etwas von Coghlan.«
»Und wie viel bin ich Ihrer Meinung nach wert?« Maya konnte sich diesen Anflug von Zynismus nicht verkneifen.
»Sehr viel«, entgegnete Rashad ernst, als hätte er ihren teils ärgerlichen, teils koketten Tonfall nicht bemerkt. »So viel, wie das Sultanat von Ijar an Geld verloren hat, seit Haines Aden zum Freihafen gemacht hat und es in Zukunft womöglich noch verlieren wird, wenn wir nicht handeln.«
»Sprechen Sie deshalb so gut Englisch – um mit Ihren und den Feinden des Sultans besser verhandeln zu können?« Maya glaubte, einen Ausdruck von Verblüffung über diese Frage in Rashads Gesicht gesehen zu haben. Er schüttelte den Kopf und kratzte mit dem Zweig in der Erde herum.
»Ihr Engländer seid nicht unsere Feinde. Wir wollten Euch nicht hier haben, das ist wahr. Aber Ihr wart die Stärkeren und habt
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