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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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schützen, dessen Territorium es zu verteidigen galt, das Recht des Stärkeren im Rücken, des Herren im Lande, vor Gott und Königin. Genauso wäre es gewesen, hätte er als Scharfschütze der Rifle Brigade gegen den erklärten Feind Russland kämpfen dürfen. Auf dieser Seite Engländer, daneben Verbündete, die es vielleicht noch zu gewinnen galt, dort drüben der Feind – so einfach hätte es sein müssen.
    Hier jedoch musste er auf seinen Rückhalt durch britisch-militärische Macht verzichten, um die Krieger und Sheikhs nicht zu brüskieren und Gefahr für Leib und Leben zu riskieren. Er und der immer noch wortkarge Private Fisker waren allein auf weiter, sandig-felsiger Flur – ohne Karten, ohne Berechtigung von oberster Stelle. Auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen der Männer aus Lahej ausgeliefert, die den Weg kannten und die hier wohlgelitten waren. Abhängig von ihrem Wissen und Verhandlungsgeschick mit den Menschen der zu durchreisenden Sultanate und Stammesterritorien, in denen jeder einfache Bauer mit djambia und Gewehr bewaffnet zu sein schien, wo hinter der herzlichsten Gastfreundschaft kriegerische Wachsamkeit durchschimmerte. Mit offenen Angriffen oder Schusswechseln hätte Ralph umgehen können, aber nicht mit dieser Atmosphäre, die die Grenzen zwischen Freund und Feind verwischte wie der Wind Fußspuren im Sand.
    Das alles war für Lieutenant Ralph Garrett nur schwer zu ertragen. Nicht minder die zur Schau gestellte orientalische Eigenart der Gemächlichkeit, des Fatalismus: »Was geschehen soll, wird geschehen. Gleich, ob heute oder morgen oder in einem Jahr.«Aus Indien zwar vertraut, hatte diese Mentalität hier aber für ihn eine ganz andere Bedeutung und andere Konsequenzen. Denn während es sich weiter östlich um Regierungsaufträge gehandelt hatte, deren Erfüllung durchaus mehrere Tage oder Wochen Aufschub geduldet hatten, ging es hier um Leib und Leben seiner Frau, die womöglich längst in Ijar war. Die vielleicht in einem fensterlosen, vor Schmutz starrenden Verlies vor sich hin vegetierte, weil er es versäumt hatte, rechtzeitig die Heiratserlaubnis einzuholen, weil er nicht besser auf sie achtgegeben hatte.
    Als er in der mittlerweile hereingebrochenen Dunkelheit keinen Stein mehr ertasten konnte, vergrub Ralph den Kopf in den Händen und weinte.
    Kaum zwei Meilen hatten sie am folgenden Morgen hinter sich gebracht, als sie erneut auf eine Gruppe von Kriegern trafen, die ihnen ihren Geleitschutz gegen bare Münze aufdrängten, sie aber auch zu einem Gastmahl einluden, das sich weit in den Tag hinein hinzog.
    Zur selben Stunde betrat Maya die Dachterrasse des Palastes von Ijar, die zum Trakt der Frauen gehörte. Mannshohe Mauern verhinderten die Einsicht von unterhalb der Anhöhe, auf der der Gebäudekomplex stand; Palmen, immense Oleandersträucher und Jasminbüsche in glasierten Tontöpfen warfen Schatten über den glatten Stein, in denen es sich trefflich aushalten ließ. Der Windhauch, der von den Bergen her kam, ließ sich bereitwillig auf seinem vorgezeichneten Weg in die quadratische, ummauerte Fläche sacken, hielt Blattwedel und Laub in beständiger Bewegung und fächelte so zusätzlich Kühle herbei.
    Zielstrebig steuerte Maya die Bank an, die in einem besonders schattigen Winkel der Terrasse stand; eine rechteckige Steinplatte auf einem Sockel, von Palmwedeln und Blütenzweigen gegen die grelle Sonne beschirmt, und setzte sich. Sie schlüpfte aus den dünnen, ledernen Pantoffeln, stellte die nackten Füße auf die glatte Oberfläche und umschlang die angezogenen Knie. Geistesabwesend strich sie über den Stoff ihres Gewandes, das sich seidig anfühlte, aber aus feiner Baumwolle war, dicht gewebt, und in einem prächtigen Rot leuchtete. Dies war ihr vierter Tag in Ijar, und vor allem der Tag ihrer Ankunft, der so voll neuer Eindrücke gewesen war, war ihr noch in lebhafter Erinnerung.

    Ihre anfängliche Angst war unbegründet gewesen, denn die Frauen des Palastes hatten sie und Djamila freundlich begrüßt. Viele Frauen waren es gewesen, weit mehr als ein Dutzend, mittleren Alters, jünger, sehr jung, dazwischen Kinder, das älteste vielleicht zwölf, das kleinste kaum über die ersten Schritte hinaus. Damit es im Trubel nicht unterging, nahm eine der Frauen – vielleicht seine Mutter? – es auch schnell auf ihren Arm, von wo aus es Maya mit großen Augen anstarrte, drei seiner dicken Fingerchen in den Mund gestopft. Auf den ersten Blick konnte Maya nicht

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