Unter dem Safranmond
unteren Stockwerk herauf und ein Lachen, Richards raues Lachen. Dann Schritte, die festen Schritte ihres Vaters, die die Treppe hochkamen, sich näherten, dann wieder entfernten auf ihrem gewohnten Weg den Flur entlang. Behutsam schnappte die Tür zum Schlafzimmer der Eltern zu, hinter die sich Martha Greenwood schon längst zurückgezogen hatte, und dämpfte die ohnehin leisen Geräusche von Geralds Zubettgehritual.
Mayas Herz klopfte heftig, sosehr sie sich auch bemühte, seinen Schlag zu beruhigen. Diesen Augenblick hatte sie herbeigesehnt, nachdem alle sich zu ihrer Nachtruhe begeben hatten und das Haus in völliger Stille daliegen würde. Sachte schob sie sich von ihrem Bett herunter und glitt aus dem Zimmer, das sie seit einem dreiviertel Jahr ganz für sich hatte.
Um die zuletzt fast täglich in Tränen endenden Zankereien der beiden Mädchen zu beenden, hatte Martha Greenwood aus Rücksicht auf ihre eigenen Nerven Angelina ein ehemaliges Gästezimmer am anderen Ende des Korridors eingerichtet, in das diese nur zu gerne umgezogen war. War es doch weitaus geräumiger und noch dazu mit einem großzügigen Wandschrank ausgestattet, der mehr als genug Platz für Angelinas verschwenderische Garderobe bot. Maya hingegen genoss es, bei Lampenlicht noch bis tief in die Nacht lesen und schreiben zu können, ohne dadurch einen Streit mit Angelina heraufzubeschwören, die lieber schlafen wollte. Sie genoss es auch, nicht mehr ständig über wahllos anprobierte und einfach stehen gelassene Schuhe zu stolpern und nicht mehr erst ihr Bett von Angelinas Kleidungsstücken befreien, ihre Bücher unter einem Wust von Haarteilen, Strümpfen, Schildpattkämmen und Ohrringen hervorsuchen zu müssen.
Und heute Nacht war Maya doppelt dankbar für diese Lösung; erlaubte sie ihr doch, sich aus dem Zimmer zu stehlen, ohne befürchten zu müssen, ihre Schwester durch eine unbedachte Bewegung zu wecken und unangenehme Fragen gestellt zu bekommen.
Maya verzichtete darauf, sich ihren Morgenrock überzuziehen, schlich in ihrem ärmellosen Nachthemd die Treppe hinunter, huschte durch das Stockwerk darunter und tastete sich im finsteren Korridor an den Türen entlang. Vor derjenigen des Grünen Zimmers, dessen Vorhänge, Teppiche und Polster in Tönen von Smaragd, Jade und Malachit aufeinander abgestimmt waren, blieb sie stehen. Einen Moment lang ließ sie Stirn und Hände auf dem Holz ruhen. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust, ihre Kehle war trocken und ihre Handflächen feucht. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, drehte den Metallknauf und schlüpfte durch den Türspalt. Erst als sie die Tür sachte hinter sich geschlossen, sich mit dem Rücken dagegengelehnt hatte, erlaubte sie sich, ihren Blick anzuheben.
Sein Hemd weit aufgeknöpft, die Hosenträger herabhängend, stand Richard am offenen Fenster. Bei ihrem Eintreten hatte er sich ihr halb zugewandt und sah sie lange nur an, einen schwer zu deutenden Ausdruck in den Augen. Erwartung vielleicht, sicherlich aber Verblüffung. Lange genug jedenfalls, dass Maya den Rauch des Zigarillos beobachten konnte, der gekräuselt aufstieg, dem Nachtfalter entgegen, der vor dem Fenster auf und ab flatterte, unschlüssig, ob er der Verlockung nachgeben sollte, die das Licht der Tischlampe für ihn darstellte. Lange genug, dass Mayas Blick für ein paar schnelle, stolpernde Herzschläge auf den noch unberührten Kissen und Laken des Bettes verharren konnte, die ihr einladend und bedrohlich zugleich erschienen. Langsam legte Richard den Zigarillo in den Aschenbecher aus Kristall, den er auf dem Fensterbrett abgestellt hatte, und kam auf sie zu. Einen Wimpernschlag lang spürte Maya den Impuls davonzulaufen. Vor dem davonzulaufen, was sie in Richards Augen lesen konnte und weswegen sie gekommen war: Das, was er ihr in seinen Briefen über die Dinge zwischen Männern und Frauen geschrieben hatte. Dinge, die zu wissen für anständige Mädchen in Mayas Alter nicht erlaubt war. Dinge, über die sie zuerst voller Ungläubigkeit und Abscheu, dann mit wachsender Neugierde und Sehnsucht gelesen hatte. Aber sie tat es nicht. Sie blieb in dem vom Sirren der Grillen und dem dumpfen Pochen der Falterflügel gegen den Glaszylinder der Lampe erfüllten Raum.
Sanft strich er mit dem Handrücken über ihre Wange, und Maya durchrieselte ein wohliger Schauder. Er neigte sich vor und küsste sie. Vorsichtig, fast fragend, und sie bejahte mit Nachdruck, so wie er es sie heute Nachmittag im Garten gelehrt
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