Unter dem Safranmond
versuchte, ihn von sich zu stoßen, als sie zu Widerworten ansetzte. Begleitet von einem leicht belustigten Lachen zwang Richard sie mit sanfter Gewalt stillzuhalten »Untersteh dich, mir jetzt deine Mitgift anzubieten! Ich kenne euch Greenwoods lange genug, um zu wissen, dass ihr gut leben könnt, aber bei Weitem nicht reich seid. Mehr als Nadelgeld wird dabei für dich nicht zusammenkommen. Und außerdem«, sein Bart strich über ihr Jochbein, als er einen zärtlichen Kuss darauf hinterließ, »außerdem bin ich mindestens so stolz wie du. Stolz darauf, was und wer ich bin, stolz darauf, stets das zu tun, was ich will. Ich, der ich mehr Ire bin als Engländer, und nicht einmal das richtig. Wer in dieser Nation von Krämerseelen seinen Weg machen will, muss schon in Eton und Cambridge gewesen sein; immer ein Netzwerk von Seinesgleichen im Rücken, und je englischer man sich gibt, umso besser, bis hin zum Haarschnitt. Als mein Vater sich dazu entschlossen hat, meinen Bruder und mich nicht auf eine englische Schule zu schicken, sondern mit uns nach Frankreich zurückzukehren, stand mein Schicksal als Außenseiter damit endgültig fest.« Er löste sich von ihr, strich ihr mit den Fingern sachte über Wangen und Kinn. »Das ist es doch, was uns verbindet, Majoschka: Wir sind Einzelgänger, die nirgendwo weniger zuhause sind als in der Heimat.«
Sie schluckte mehrfach, ehe sie mühselig hervorbrachte: »Und … und was wird nun aus uns?«
»Wir müssen uns unserem Schicksal beugen. Kismet , wie man in Arabien sagt. Vielleicht kann ich deinen Vater auch um eine Unterredung unter vier Augen bitten.« Er küsste sie zart auf die Stirn, hielt sie noch für einen wunderbaren, viel zu kurzen Moment in seinen Armen, ehe er nach dem Türknauf langte und sie aus dem Zimmer schob. »Geh jetzt schlafen. Wir sehen uns morgen.«
Als er die Tür hinter ihr schloss, stand Maya unbeweglich noch ein paar Augenblicke auf derselben Stelle, ehe sie wie betäubt nach oben schlich, zurück in ihr eigenes Bett, das ihr trotz der Wärme der Nacht so kalt und leer vorkam. Zorn, Kummer und immer wieder aufflackerndes Begehren hielten sie wach, ehe sie sich damit zu trösten begann, dass bei Tageslicht alles anders aussehen würde, freundlicher und weniger bedrohlich. Tat es das nicht immer? Er wird eine Lösung finden , sprach sie sich selbst Mut zu, als Körper und Geist allmählich von Müdigkeit übermannt wurden. Er wird mit Vater sprechen – es wird alles gut werden, morgen …
Doch als Maya angekleidet zum Frühstück herunterkam, war Richard fort. In aller Frühe hatte er das Haus verlassen, ohne sich von einem der Familienmitglieder verabschiedet zu haben. Wie ein Dieb , dachte Maya später oft.
Monate vergingen, bis er ihr, im Tonfall altvertrauter Zärtlichkeit, wieder schrieb. Und in keinem seiner Briefe erwähnte er jemals wieder besagte Nacht oder gar die Möglichkeit einer Heirat.
Maya schreckte zusammen, als sie Schritte hörte. In ihrem schlurfenden, leicht unregelmäßigen Klang waren es unverkennbar diejenigen Professor Reays, der sie abholen kam. Hastig wischte sie mit dem Handrücken über ihre nassen Wangen und klappte das Buch zu, schickte sich an, es zurückzustellen. Doch sie zögerte. Einen Herzschlag, zwei. Hastig schob sie die anderen Bände zusammen, dass sie die Lücke füllten und ausglichen, presste das Buch vor die Brust und drapierte die Enden ihres Schultertuches darüber. Die Arme eng um ihren Oberkörper geschlungen, wandte sie sich um, dem Bibliothekar entgegenzugehen.
4
Leise schob Maya die Tür zum Garten von außen auf und steckte ihre rotgefrorene Nasenspitze durch den Türspalt. Die Halle war nur teilweise erleuchtet. Aus der Küche waren die fröhlich plaudernden Stimmen von Hazel und Rose, der Mamsell, zu hören. Das Klappern von Töpfen, das zarte Klingen von Glas, Geschirr und Besteck, ein Dufthauch von Suppengrün und Rosmarin verriet, dass die beiden wie gewöhnlich mit den Vorbereitungen des Dinners beschäftigt waren, so wie an jedem anderen Abend auch. Auch aus dem oberen Stockwerk waren Stimmen zu hören, sanft vor sich hin plätschernd, dazwischen Angelinas glockenhelles Lachen. Maya atmete erleichtert auf. Offensichtlich hatte ihre Abwesenheit während des Nachmittags keinen größeren Aufruhr zur Folge gehabt. Schnell schlüpfte sie ins Haus, schloss die Tür lautlos hinter sich und huschte durch die halbdunkle Halle, bestrebt, möglichst ungesehen auf ihr Zimmer zu gelangen. Sie
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