Unter dem Safranmond
Tariq.
Ralphs Mund verzog sich, schaffte aber kein ganzes Lächeln. »Das ist schön.« Er schluckte. »Ich werde sicher nie vergessen können, dass er nicht mein Sohn ist. Vielleicht kann ich mich aber daran gewöhnen und ihn trotzdem lieben. Er sieht ja aus wie du.« Seine Blicke wanderten über ihr Gesicht. »Ich mag dich bis heute nicht kennen. Möglicherweise werde ich es niemals. Aber eines weiß ich genau: Du berührst mich auf eine Art, wie es zuvor niemals eine Frau getan hat noch jemals wird. Deshalb fällt es mir so schwer, in deiner Nähe zu sein – und noch schwerer, dich ganz aufzugeben.« Er nahm ihre bloße Linke und drückte seine Lippen darauf. »Ich wünsche mir, dass du eines Tages wieder einen Ring von mir daran tragen wirst. Und sei es nur, weil du dich mir zugehörig fühlst.«
»Ich – «, begann sie heiser, doch er schüttelte den Kopf.
»Nein, Maya, nicht jetzt. Wir brauchen Zeit, du und ich. Und die werden wir haben. In fünf Tagen geht mein Schiff nach Indien. Wenn ich erst wieder bei meinen Guides bin, werde ich genug Abstand haben, um alles noch einmal zu überdenken. Ich möchte dich nur bitten, hier das Gleiche zu tun. Das darf einfach nicht alles gewesen sein.«
Maya drückte ihn an sich. »Gib auf dich acht.«
»Natürlich. Für dich und – «, sein Kopf neigte sich sachte in Richtung Jonah, der im Schlaf leise Grunzer von sich gab, »den kleinen Kerl. Er braucht doch einen Vater. Selbst wenn«, sein Gesicht zeigte ein wackeliges Lächeln, das zur Grimasse geriet, »dieser derart unvollkommen ist wie ich.« Ralph hauchte einen Kuss auf Mayas Wange und umfasste ihre Hände, ehe er sie losließ. »Bitte bleib hier oben, wenn ich jetzt gehe. Dieses Bild möchte ich mitnehmen – dich vor der Wiege.«
Als er gegangen war, beugte sich Maya über ihren Sohn und strich mit dem Fingerknöchel über seine Armbeuge. Bitte lieber Gott, lass mir wenigstens diesen Mann, wenn du mir Rashad schon genommen hast. Schuld gegen Schuld, seine Verfehlungen gegen meine, damit ist es doch abgegolten. Lass es mir gelingen, aus dem Keim der Zuneigung wieder etwas wachsen zu lassen, das für eine Ehe reicht. Bitte lieber Gott – nur das. Mehr brauchen Jonah und ich nicht. Bitte.
Doch manchmal stellt Gott sich taub für unsere Bitten, weil er anderes mit uns im Sinn hat. Oder er lässt traurigen Blickes des Menschen Unvernunft ihren blinden Willen.
9
In den drei Jahren, die Lieutenant Ralph Garrett dem Corps of Guides unter Lumsden fern gewesen war, hatte sich einiges verändert. Von Peshawar war das Regiment nach Mardan umgezogen, rund vierzig Meilen weiter nordöstlich. Grau war die Farbe dieser Gegend. Grau wie die kargen Hügel im Nordosten, ihre Felsen, ihr Geröll und der Staub, der allgegenwärtig war. Aber auch grau wie Laub und Geäst der Tamarisken, die hier hoch wuchsen. Nur wenig Abwechslung brachte das zaghafte Grün der staubbedeckten Blätter der Akazien, der dichten, weit entfernten Wälder und der kleinen Terrassenfelder der fruchtbaren, teilweise hügeligen Ebene im Südwesten, über denen jetzt, im Mai, Dunstbänke standen; aufgestiegen aus den Flüssen und den in die Erde gegrabenen Bewässerungskanälen. Luftfeuchtigkeit, die die Hitze noch unerträglicher machte. Erst im Oktober würde es wieder kühler werden, im Dezember und Januar unverhältnismäßig kalt, sogar mit Schneefall, bis heftige Gewitter und Hagelschauer wieder mildere Temperaturen ankündigten. Es war das Land der Leoparden und der Schakale, zwischen den Steinen der Bergwände herumkletternder wilder Ziegen und umherturnender Affen. Mit viel Glück konnte man auf einem Spaziergang auch einen herumstolzierenden Fasan erlegen.
Vor allem aber waren die Tage provisorischer Unterkünfte vorbei. Am Rande des alten Stadtteils von Hoti Mardan, vom Kalpani durchflossen, war ein Fort erbaut worden, im Grundriss wie ein immenser fünfzackiger Stern. Vier seiner Arme waren den Bungalows der Offiziere vorbehalten, während der fünfte das Magazin und den Exerzierplatz beinhaltete. Buchsbaumsetzlinge und Baumschösslinge, sorgsam gewässert, sollten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten dem Fort ein freundlicheres Gesicht verleihen und an die Gärten im fernen England erinnern. Rings um die Mitte des Forts, unter den überhängenden Brüstungen, befanden sich die einfachen Behausungen der einheimischen Infanteriesoldaten. Mehrere Hundert Mann, Pathanen, Punjabis und Sikhs. Wie überall im Land bestand die Armee
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