Unter dem Safranmond
Begegnung mit dem Gast des Hauses zeigte, steigerte Angelina noch das Tempo ihres Geplappers. »Fabelhaft sieht er aus! Wie die Statue eines griechischen Gottes, mit einer Haut wie aus Alabaster. Sicher küsst er wunderbar – mit diesem Mund!«, fügte sie forsch und mit einem erneuten nervösen Kichern hinzu. Maya verdrehte unmerklich die Augen, schrieb aber unverdrossen weiter. »Er hat nur gegrinst und im Scherz salutiert. Ich glaube aber, es war ihm schon ein bisschen peinlich! Kein Wunder, sich so derangiert einer hübschen jungen Lady gegenüberzusehen …« Selbstgefällig ordnete Angelina die Falten ihrer Röcke. »Nach dem, was ich Jojo über ihn entlocken konnte, muss er eine glänzende Partie sein. Und er ist nicht verlobt! Er muss ganz einfach der Richtige sein, das habe ich gleich …«
Mayas Blick fiel auf ihre linke Hand, die sie wie gewohnt beim Schreiben locker im Schoß liegen hatte, Handrücken nach unten und leicht gewölbt, als schöpfte sie damit ein kostbares Nass. Tief war das Relief an Rillen und feinen Linien in ihre Handfläche graviert. Nie konnte Maya es betrachten, ohne dass ihr aus diesem Muster ein Buchstabe entgegensprang, eckig wie ein Runenzeichen, den eine Zigeunerin ihr einmal darin gezeigt hatte. Damals, in jenem Herbst, als Maya acht Jahre alt gewesen war …
Es war einer jener Tage, an denen es unmöglich schien, dass der Sommer zu Ende sein sollte. Die Luft war noch warm, getränkt von dunkelgoldenem Sonnenschein, der das farbige Laub wie in Flammen stehen ließ. Aus der Sicherheit des umfriedeten Gartens von Black Hall hatte Richard sie in ein verlockendes Abenteuer entführt. Teils an seiner Hand, teils unter vergnügtem Quietschen auf seinen Schultern reitend, waren sie gen Südosten aus der Stadt gewandert, über eine Brücke an das jenseitige Ufer der funkelnden Isis, in Richtung des Waldes von Bagley. Sonnenlicht tropfte schwer durch die Baumkronen, sammelte sich in hellen Pfützen auf dem mulchigen Boden, ließ die saftig grünen Farnwedel aufschimmern.
»Aber wo gehen wir denn hin?«, wollte Maya nun schon zum ungefähr achtundsiebzigsten Mal wissen und zerrte ungeduldig an Richards Hand.
»Überraschung«, gab er lachend immer wieder dieselbe Antwort. Schmollend schob Maya ihre Unterlippe vor, und schnappte gleich darauf erstaunt und begeistert nach Luft. Das Dickicht aus Bäumen und Gehölz war plötzlich zu Ende, umringte lodernd in Karminrot und Messing eine Wiese, ungetrimmt und blumengesprenkelt. Im Kreis hatte sich eine Handvoll geschlossener Holzwagen darauf versammelt, Wände und Fensterläden mit bunten Ornamenten bemalt. Die dazugehörigen Pferde waren an einem im Boden versenkten Pflock angebunden und grasten genüsslich. Eine Schar Frauen in farbenfroher Kleidung saß um ein metallenes Dreibein, an dem ein Kessel über dem Feuer hing, beisammen. Die Frauen schwatzten und lachten. Sie wandten sich ihnen zu, als Richard und Maya auf sie zukamen, begrüßten sie schon von Ferne mit freudigen und neckenden Ausrufen, teilweise in einer Sprache, die Maya nicht verstand. Anders als Richard, der mit ebenso fremd klingenden Lauten antwortete. Er schien hier bekannt und gern gesehen zu sein, und die Blicke, die einige der Frauen ihm zuwarfen, gefielen Maya gar nicht, versetzten ihr einen Stich in der Herzgegend.
»Selina!« Auf Richards Zuruf hin erhob sich eine der Frauen von dem Baumstumpf, auf dem sie gesessen hatte. Bewundernd betrachtete Maya ihre weiten Röcke und die tief ausgeschnittene Bluse aus glänzendem Samt und Satin, in Schwarz, Türkischrot und Grün. Ihrem Blick entgingen auch nicht die Goldketten um ihren Hals, die Metallreifen, die mehrere Fingerbreit ihre Arme schmückten, die schweren Ohrgehänge unter dem roten Seidenturban, der ein paar ihrer schwarzen Locken gestattete, sich vorwitzig unter seinem Rand hervorzuringeln. Die Frau stemmte die Hände in die üppigen Hüften, nahm die Schultern zurück, dass sich ihre Brust hob, und reckte ihr Kinn herausfordernd in die Luft. »Sieh an! Dass du alter Halunke auch mal wieder den Weg hierher findest!« Ihre schwarzen Augen wurden schmal in ihrem bronzenen Gesicht, das so dunkel war, dass Maya beinahe blass daneben wirkte. Vorsichtig schielte Maya zu Richard empor, den diese vorwurfsvolle Bemerkung so gar nicht zu treffen schien. Ganz im Gegenteil: Seine Lippen unter dem Bart zuckten amüsiert, und seine Augen funkelten. Es traf Maya wie ein Schlag, als sie bemerkte, dass Richard aussah, als
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