Unter dem Safranmond
Außerdem musste sich zeigen, wie sich das derzeitige, kriegsbedingte Bündnis mit Englands Erzrivalen Frankreich entwickeln würde, sobald der geplante Kanal zwischen Rotem Meer und Mittelmeer gebaut war. Ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Frankreich und Ägypten, das bald in Angriff genommen werden sollte. Und auch wenn ein solcher Kanal eine erhebliche Verkürzung des Seewegs nach Indien versprach, sahen die entsprechenden englischen Stellen diesen nur ungern in den Händen fremder Mächte.
Als Soldat in Aden Dienst zu tun hieß in der Regel, Patrouillenrunden durch die Stadt zu drehen, um für Recht und Ordnung zu sorgen: Rangeleien zwischen Händlern und Kulis, wie die Tagelöhner und Lastenträger genannt wurden, schlichten, einen Dieb oder Betrüger verhaften und in das örtliche Gefängnis überführen. Einige Truppen überwachten die Verladung der Waren am Steamer Point , schrieben und kontrollierten Frachtlisten und hatten ein Auge darauf, dass alles ordentlich ablief. Wer richtiges Pech hatte, landete in der Schreibstube des Bevollmächtigten. So auch Lieutenant Ralph Garrett, der seine Tage damit zubrachte, Materialanforderungen zu schreiben, Anträge an die Verwaltung in Bombay, Personaldokumente oder sonstige Korrespondenz. Und davon gab es viel in jenem Jahr. Denn Haines war im Frühjahr aufgrund von Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung seines Amtes enthoben und nach Bombay beordert worden, wo man ihm den Prozess gemacht, ihn schließlich für schuldig befunden und zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Veruntreuung verurteilt hatte. Der neue Bevollmächtigte, Colonel James Outram, war weniger ein Pionier wie Haines, der sich einheimische Hilfe in seinen Stab geholt hatte, sondern ein erfahrener Kolonialbeamter aus Bombay, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Aden zu einem veritablen Teil Britisch-Indiens zu machen. Sofort nach seinem Amtsantritt im Juli hatte er damit begonnen, die gesamte Verwaltung Adens nach dem Modell der britischen Herrschaft auf dem Subkontinent umzukrempeln, was eine wahre Flut an Briefen und zu erstellenden Dokumenten zur Folge hatte. Die Papiere, die Haines bei seiner überstürzten Abreise hinterlassen hatte, mussten gesichtet und Pläne für die Zukunft Adens erstellt werden. Neue Posten wurden geschaffen und besetzt, Gelder für weitere Bau- und Sanierungsmaßnahmen beantragt.
Ralph beklagte sich nie über seine Tätigkeit, aber Maya sah ihm an, wie sehr er darunter litt. Sein einstmals so federnder Schritt war müde geworden, sein Blick matt und sein früher stets lächelnder Mund schmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Es bedrückte Maya, ihn so zu sehen und nichts dagegen tun zu können, außer seine nächtlichen Zärtlichkeiten zu erwidern, ihn mit den ihren zu überschütten, um so wieder einen Funken Lebendigkeit in ihm zu entzünden, ein Strahlen in seinen Augen im Schein der Öllampe zu entdecken. Nicht zuletzt, weil sie sich ihm dann so nahe fühlen konnte wie sonst kaum, gab sie es ihm gerne, auch wenn sie selbst hungrig zurückblieb. Es war wohl nur eine Illusion gewesen, dass Frauen auch solche Erfüllung darin fanden wie Männer. Eine Mär, von Männern in Unkenntnis des weiblichen Körpers in die Welt gesetzt, der Richard Francis Burton erlegen war und die er irrtümlich an Maya weitergereicht hatte. Oder es traf nur auf orientalische Frauen zu, nicht auf englische Ladys. Maya begann sich damit abzufinden, dass nicht mehr daran war als eine hoch aufflammende Lust, die einfach wieder abflachte, ohne je wirklich befriedigt zu werden. Wenn sie wenigstens ein Kind hätte … Ein Kind, um das sie sich kümmern könnte, das sie ganz in Anspruch nehmen würde, das vielleicht auch Ralph wieder leichteren Sinnes sein ließe. Doch viermal hatte Maya ihre monatliche Blutung gehabt, seit sie in Aden angekommen waren, und nichts deutete darauf hin, dass sie inzwischen empfangen hatte.
Seufzend stand Maya auf, um sich zu waschen und anzuziehen. Nur das Nötigste an Morgentoilette, wie meistens, weil in den Sommermonaten Wasser rationiert war. Während über dem gesamten Golf von Aden Regenzeit herrschte, die die Böden der Küstenregionen auf dem Festland tränkte und begrünte, hielten die Wolken anscheinend diesen hässlichen Flecken Erde einfach für nicht würdig genug, um ihre kostbare Fracht darüber abzuladen. Sie beschränkten sich auf kurze, aber heftige Platzregen, die gerade genug Wasser lieferten, um die verästelten Flussläufe am Stadtrand notdürftig
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