Unter dem Safranmond
vorab meine somalischen Sprachkenntnisse vertiefen. Also keine völlige Verschwendung, hier seit Mai festzusitzen!«
»Seit Mai schon …«, kam Mayas tonloses Echo. Kurz durchzuckte sie der Gedanke, ob es etwas geändert hätte, wäre sie Richard schon früher begegnet, aber sie verwarf ihn sogleich wieder. Dennoch musste er die kurze Veränderung in ihrem Gesicht bemerkt haben, denn er blickte zum sich rasch verdunkelnden Himmel und nahm ihren Arm. »Lass uns Unterschlupf suchen. Gleicht bricht hier ein Unwetter los.«
Schon unter dem ersten massiven Donnergrollen, das beinahe drohend von den Felswänden zurückgeworfen wurde, ließ sich Maya willenlos von ihm über die Straße führen, gefolgt von Gita, der Ralph mehrfach eingeschärft hatte, seine Frau in der Stadt niemals aus den Augen zu lassen. Richard zog Maya in eine überdachte Gasse zwischen zwei eng beieinanderstehenden Häusern der Altstadt. Dann holte er ein zusammengerolltes Bündel Geldscheine aus der Hosentasche und hielt es Gita hin, während er sie mit einem Wortschwall auf Bengali überschüttete und mit jener Mischung aus energischer Bestimmtheit und Charme bedachte, die ihm so schnell niemand nachmachte. Gitas Augen wurden immer größer, bis sie schließlich nickte, das Melonenstück in ihre Armbeuge schob und das Geld entgegennahm. Dann lief sie eiligen Schrittes wieder zum Eingang der Gasse, blieb dort stehen, ihren Rücken kerzengerade durchgedrückt, als wollte sie ihnen zu verstehen geben, dass sie sich keinesfalls umzudrehen gedächte, was auch immer hinter ihr nun vorgehen mochte.
Ein Blitz zerschnitt das Dämmerlicht, als Richard Maya weiterschob; ein Donnerschlag folgte, der ein gedämpftes Grollen nach sich zog, und dann klatschte der Regen in dicken Tropfen herab, ließ den süßen Geruch weggewaschenen Hitzestaubes aufsteigen. Sein lautes Lied wurde durchdrungen von den Rufen der Händler, ihrem Gejammer, als sie in aller Hast ihre Waren zusammenpackten und notdürftig abzudecken versuchten, als sich alles in die Häuser zu retten begann, was Beine hatte.
»Was um alles in der Welt hast du ihr erzählt?«, zischte Maya, als sie endlich anhielten. Richards Bart zuckte kurz.
»Ich habe an ihren Aberglauben ebenso appelliert wie an ihr Mitgefühl als Hinduistin. Der kleine Obolus tat sein Übriges. Im gesamten Orient schuldet man alleine dem Mammon Gehorsam.«
Maya zuckte zurück, als er ihren linken Arm hinter ihrem Rücken hervorziehen wollte, wand sich unter seinem Griff, doch er blieb unerbittlich. »Lass«, sagte er, ebenso zornig wie zärtlich, »ich habe ihn doch schon längst gesehen.« Maya ergab sich, und beide starrten auf Mayas zusammengekrampfte Finger in seiner Hand und den schmalen Ring daran. »Hast du deshalb meine Briefe nicht mehr beantwortet?«, fragte er schließlich.
Ruckartig hob sie den Kopf. »Ach, das hast du bemerkt?« Sie schluckte hart am Gift ihrer eigenen Zunge und versteifte ihre Mundpartie, die unkontrolliert zu beben begann. Richard schwieg einen Moment, strich wieder und wieder über ihre Fingerknöchel und den Metallreif.
»Konntest oder wolltest du nicht auf mich warten?«, gab er schließlich heiser zurück.
In Mayas Augen stiegen Tränen auf. »Wärst du denn gekommen – irgendwann?« Sie hatte es hart sagen, hatte vorwurfsvoll klingen wollen, aber es geriet entsetzlich schwach. Richards Blick war unstet, wanderte über die Mauer hinter ihr, hoch zur Überdachung und hinunter auf den festgestampften Boden, über den das erste Regenrinnsal von draußen hereinfloss, als er ihre Hand umfasste und wieder locker ließ.
»Genau das wollte ich nie – dich so sehen. An einem solchen Ort und so unglücklich. Abgeschnitten von deiner Familie, von allem, was dir vertraut ist.« Sein Blick wurde weich, so weich, dass Maya ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, als er sie ansah und hinzufügte: »Hat dir niemand gesagt, dass Aden zu jenen irdischen Plätzen gehört, die dem Fegefeuer am nächsten kommen? Hier tut man Buße für seine Sünden, weil man in Aden einfach nicht anders kann, als zu leiden.«
Ein Schluchzen entglitt ihr, schüttelte sie durch, als er sie in die Arme schloss, und sie erwiderte seine Küsse fiebrig und gierig, in der Hoffnung dadurch etwas zu erhaschen, was sie in jener verregneten Aprilnacht in Black Hall zurückgelassen hatte und das ihr so schmerzlich fehlte. Derart schmerzlich, dass sie die Erinnerung daran in den vergangenen Monaten nie zugelassen hatte.
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