Unter dem Safranmond
quadratischen Fensteröffnungen standen sperrangelweit nach außen offen, doch es war nicht die Schuld der darin eingelassenen Gitterstäbe, dass kein Windhauch hereindrang. Und auch der Deckenfächer, von einem scheinbar in tiefem Schlaf an der Wand lehnenden Somalijungen an einer langen Schnur hin- und herbewegt, war kaum in der Lage, die zum Schneiden dicke Luft aus den Ausdünstungen schwitzender Leiber, Alkohol- und Rauchschwaden auch nur aufzuwirbeln. Die Holzbohlen des Bodens waren rissig, ausgetreten und von feuchter Hitze verzogen, sodass der schon ziemlich ramponierte Billardtisch nur mithilfe von Keilen unter zweien seiner Beine waagerecht gehalten wurde. Gespielt wurde auf ihm aber heute Abend ohnehin nicht; der Billardtisch war zur Sitzgelegenheit umfunktioniert worden, weil die Offiziere natürlich allen anwesenden Damen ein Vorrecht auf die zahlenmäßig begrenzten Stühle eingeräumt hatten. Wer danach keinen abbekommen hatte, hockte auf den dazugehörigen wackeligen Tischen oder stand ganz einfach, sofern man nach dem importierten Gin, von bengalischen Dienern eilfertig nachgeschenkt, dazu noch in der Lage war und nicht an einem Kameraden oder der Wand Halt suchen musste.
Maya hielt sich auf ihrem Stuhl stocksteif und gerade, weil sie der Lehne mit den losen Speichen nicht traute, und ließ ihren Blick über die abseits der Gentlemen versammelten Frauen schweifen, die sie nur flüchtig von den monatlichen Zusammenkünften her kannte. Mit halbem Ohr hörte sie den schnatternden Frauenstimmen zu, die sich über die beste Zubereitung von Kochbananen unterhielten und darüber, wie man Fleisch haltbar machte. Details, die Maya sich zwar zu merken und auch umzusetzen versuchte, doch was sie abends an dem einfachen gemauerten Herd ihres Bungalows zustande brachte, zeugte eher von Ideenreichtum denn von wahren Kochkünsten. Trotzdem aß Ralph jedes Mal, ohne zu murren, tapfer seine Portion auf. Auch die sonst üblichen Themen – wie man Schwangerschaftsübelkeit bekämpfte, welche Farbe, Konsistenz und welchen Geruch Wochenfluss annehmen konnte und wie man sich seinen auf die lästige fleischliche Vereinigung drängenden Ehemann zumindest einige Nächte vom Leibe hielt – stießen bei Maya nicht auf wirkliches Interesse. Dennoch bemühte sie sich um einen gleichmütig höflichen Gesichtsausdruck, als sie verstohlen an den kurzen Ärmeln ihres leichten Kleides zupfte, dessen lindgrüner Stoff unter den Achseln schon feuchte Flecke zeigte. Ein paar Mal hatte sie versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, bis sie verlegen feststellen musste, dass sie die Einzige war, die Bücher liebte und weiter Arabisch lernen wollte, damit es zu mehr reichte, als auf dem Markt um Obst und Honig zu feilschen. Und auch auf ihre Nachfragen, wie denn die arabischen Frauen hier lebten, was es denn jenseits des Kraters zu sehen gab, hatte sie erstaunte bis befremdete Blicke geerntet. Maya fürchtete, dass ihr früher so wacher Verstand dabei war, unter Untätigkeit und Hitze zu verkümmern wie die welken Pflänzchen der sogenannten Gärten Adens. In den nächsten Tagen würde endlich die Büchersendung aus London eintreffen, die sie Ralph von seinem Sold abgeschmeichelt hatte. Bücher waren Luxusgüter in Aden und nicht vorrätig, weil niemand hier die Zeit oder die Neigung hatte, sie zu lesen. Also mussten sie zu horrenden Preisen extra per Brief geordert werden. Doch Maya hielt es nicht mehr länger ohne Lektüre aus. Sie kam beinahe um vor Langeweile. Gleichzeitig schämte sie sich, wenn sie sich dabei erwischte, dass sie auf die anderen Soldatenfrauen herabsah, weil deren Horizont nicht weiter reichte als über ihren Kochtopf und die stetig wachsende Kinderschar, die man heute Abend einer Ayah , einer indischen Kinderfrau, überlassen hatte. Sie schämte sich, dass sie auf sie herabsah, obwohl sie selbst nichts Besseres darstellte. Nicht hier, nicht in Aden. Hier zählte es nicht, dass sie eine Professorentochter war, die Griechisch und Latein konnte; es machte sie nicht einmal als Blaustrumpf verdächtig. Denn hier bedeutete ihr Wissen einfach nichts, und das ließ sich Maya auf eine Art einsamer fühlen, als sie es in Oxford je gewesen war.
Unwillkürlich schlossen sich ihre Finger um das Medaillon ihrer Großmutter, eine Geste, die ihr zur Gewohnheit geworden war. Als könnte sie so eine Verbindung zu ihrer Familie herstellen, die ihr nicht nur durch die Meere und Küsten, die zwischen ihnen lagen, fern war. Jonathans
Weitere Kostenlose Bücher