Unter dem Safranmond
Zwischen zwei raschen Atemzügen hörte sie ihn leise lachen. »Sieh an – jung verheiratet und doch so hungrig!«
Maya stieß ihn mit aller Kraft von sich, holte aus und schlug zu. Sie erschrak über die Wucht, mit der sie ihn im Gesicht traf, mit der sein Kopf zur Seite flog, erschrak über den unerwarteten Schmerz in ihrer Handfläche und am meisten darüber, dass dieser ihr Erleichterung verschaffte, weil er einen anderen, inneren Schmerz überlagerte.
Für einen Moment war es still. Selbst der Donner schien verblüfft innezuhalten, und der Regen rauschte in ähnlichem Rhythmus wie Mayas schnelle Atemstöße herab. Richards Augen funkelten und er grinste, ein ebenso unverschämtes wie unwiderstehliches Grinsen, rieb sich mit dem Daumen über den Unterkiefer und schüttelte leicht den Kopf. »Schätze, das habe ich auch verdient.« Sein Blick verdunkelte sich, wurde tief und abgründig, als er ihn lange auf Maya richtete. »Man sagt, dass Reisende ebenso wie Poeten derselben jähzornigen Rasse angehören. Dich muss der Urheber dieses Spruches wohl vergessen haben.« Er machte eine kleine Pause und setzte mit heiserer Stimme hinzu: »Ich weiß, dass mich bei allem, was ich tue, der Teufel treibt. Und jede Wette, dass du dir insgeheim den Mut wünschst, ihn bei dir ebenfalls gewähren zu lassen.«
Maya lief los, rannte bis ans Ende der Gasse, riss dort Gita mit sich, hinaus in den Regen, taub für die bedauernden Klagen der Bengalin über den Verlust der Melone, die diese vor Schreck hatte fallen lassen. Der Regen durchnässte sie beide innerhalb von Sekunden, und so unangenehm Maya der nasse Stoff war, der ihr auf der Haut klebte, so herrlich fühlte sich das warme Wasser auf der Haut an, wie es über sie hinweglief und ihre Tränen mit sich fortspülte. In ihr setzte etwas zu lautstarkem Jubel an, verstummte jedoch abrupt, als ihr ein Satz einfiel, den sie vor langer Zeit einmal irgendwo gelesen hatte: Wer zwei Männer zu lieben glaubt, liebt keinen von beiden wirklich.
3
Varna / Bulgarien, den 2. September 1854
Mein liebes Schwesterlein,
es tut mir unendlich leid, dass Du seit meinem letzten Brief aus Malta so lange auf Nachricht von mir warten musstest! Die vergangenen drei Monate sind nur so dahingeflogen, und ich hatte seit unserer Ankunft hier im Juni mehr als alle Hände voll zu tun, sodass ich einfach keine Zeit fand, Dir zu schreiben. Ich hoffe, Du hast Dir nicht allzu große Sorgen gemacht – mir geht es gut, und ich gelobe Besserung! Deine Briefe habe ich alle erhalten – wenigstens die Feldpost funktioniert in diesem verdammten Krieg –, und sie waren mir mehr als einmal ein Lichtstreifen am sonst so düsteren Horizont.
Du kannst Dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass wir hier endlich unsere Zelte abbrechen! Ich kann es kaum abwarten, diesem grässlichen Ort den Rücken zu kehren, der uns nichts als Pech gebracht hat. Die Soldaten der anderen Regimenter erzählen, dass zuvor Gallipoli schon ein Schock gewesen war – überall tote Hunde, Katzen und Ratten, wohin man auch seinen Stiefel setzte, und eine Hitze, dass es einem Offizier sogar gelungen sein soll, ein Ei auf seinem Tschako aus Patentleder zu braten (ob er diesen während der Zubereitung des Spiegeleis noch auf seinem Kopf trug, wurde mir leider nicht berichtet). Nun, ich war nie in Gallipoli, aber in meinen schlimmsten Alpträumen hätte ich mir nicht so viel Schmutz und Verwahrlosung vorstellen können wie in Varna, und glaub mir: Es ist deutlich schlimmer, als Gallipoli jemals gewesen sein kann. Der Name »Schwarzes Meer« bekommt dabei gleich eine ganz andere Bedeutung … Irgendwie haben es die Franzosen besser hinbekommen, ihren Teil des Lagers aufzuräumen als unsere Leute. Ich wünschte nur, das wäre das Einzige, was es an der Organisation dieses Feldzuges zu bemängeln gäbe. Die Verschiffung an Material und Proviant nach Gallipoli war, gelinde gesagt, chaotisch gewesen, und genauso war es auch auf dem Weg von dort nach Varna. Zelte waren angekommen, deren Pfosten an Bord eines anderen Schiffes noch unterwegs waren. Pferde hatte man nicht sorgfältig genug festgebunden, sodass sie in denkbar schlechtem Zustand ankamen, und bei der Ankunft warf man sie einfach über Bord, damit sie an Land schwimmen konnten, weil es an kleinen Booten zum Weitertransport in den Hafen fehlte. Es mangelte an Proviant: Im August ging uns das Brot aus, und ein Brand im Magazin vernichtete Verpflegung und anderes kriegswichtiges
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