Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
Vom Netzwerk:
Material, was vor allem die Franzosen hart traf. Doch das Schlimmste waren die eingeschleppte Cholera und der Typhus. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die Zahl der Toten in die Tausende geht, Franzosen wie Engländer, und Unzählige musste ich für dienstuntauglich erklären und wieder in die Heimat zurückschicken. Mir machte am meisten meine eigene Machtlosigkeit zu schaffen, obwohl ich zu helfen versuchte, wo ich nur konnte, unabhängig von Regimentszugehörigkeit der Kranken. Wir hatten nicht einmal eine ordentliche Lazarettausstattung zur Verfügung, keine Tragen oder Sanitätswagen. Ein solches Desaster, nur wegen Schlamperei und schlechter Organisation! Da weiß man manchmal nicht mehr wohin mit seinem ganzen Ärger und seiner Wut…
    Derweil saßen die Generäle ratlos herum und verschoben probeweise ihre Fähnchen auf den Karten, ohne je zu einem Entschluss zu kommen, ob man die russische Belagerung in Silistria nun angreifen sollte oder nicht, und nachdem sich Russland wieder von dort zurückgezogen hatte, beratschlagte man, wie man die Truppen des Zaren noch zu fassen bekommen könnte. Zum Glück ist jetzt eine Entscheidung gefallen: Wir brechen auf, in Richtung Krim, gen Sebastopol. Ich kann nur hoffen, dass das Klima dort besser ist, die Cholera uns nicht verfolgen wird und die längst überfälligen Kämpfe ohne große Verluste auf unserer Seite vonstattengehen. Andererseits kann es jetzt eigentlich nur besser werden – denn was könnte schlimmer sein als Varna?
    Ehrlich gesagt bin ich froh, Dich und Ralph weit entfernt von diesem Krieg zu wissen. Froh, dass Ihr das alles nicht miterleben müsst und Euch in Sicherheit befindet. Auch wenn ich Eure Enttäuschung über Ralphs (»mein Schwager« – so ganz kann ich mich noch nicht daran gewöhnen, ihn so zu nennen) Strafversetzung verstehen kann. Aber siehst Du: Es hat alles etwas Gutes. Besser Aden als Varna! Deshalb bin ich doppelt, nein, was schreibe ich da, tausendfach(!!) froh, dass es Dir so gut geht und dass Ihr glücklich seid, wie ich es Deinen lebhaften Schilderungen entnehmen konnte. Das bestätigt mir, dass es richtig war, Euch zu helfen, dass sich auch der große Krach zuhause gelohnt hat. Gräm Dich nicht, dass Du aus Black Hall immer noch keine Antwort auf Deine Briefe erhalten hast. Lass Vater und Mutter bitte noch ein wenig Zeit. Sie werden nicht ewig böse sein; spätestens wenn ihr erstes Enkelkind da ist, werden sie einsehen, dass Du einfach keine andere Wahl hattest, und dann wird auch die Versöhnung nicht lange auf sich warten lassen.
    Sobald das hier überstanden ist, nehme ich den nächsten Dampfer zu Euch, großes Ehrenwort!
    Ich soll Euch beide lieb von Amy grüßen – sie schreibt mir ebenfalls fleißig (auch wenn sie doch ein klein wenig beleidigt ist, dass wir nicht auch durchgebrannt sind … Frauen!!). Grüß Ralph von mir, und ich umarme Dich ganz fest,
    Jonathan
    Maya unterdrückte mühsam ein Gähnen, bis ihr vor lauter Anstrengung Tränen in die Augen stiegen. Heute war die allmonatliche »Ladys’ Night« im Offizierskasino; eine Veranstaltung, die dieser hochtrabenden Bezeichnung keinesfalls gerecht wurde. Für Maya lag eine ungeheure Ironie in der Tatsache, dass sie als Ralphs Ehefrau auf dem Feldzug gegen Russland willkommen gewesen wäre, während man in Aden jedoch eine Begleitung der Soldaten durch ihre Familien nicht gerne sah. Dennoch hatten sich eine Handvoll unerschrockener bis verzweifelter Frauen wie Maya hier eingefunden, und ihretwegen wie auch in dem Versuch, so etwas wie gesellschaftliches Leben in Aden zu etablieren, hatte man diesen Abend eingeführt, offen für Soldatenfrauen wie europäische Zivilisten, die das Verlangen nach heimatlicher Unterhaltung verspürten. Das sonst gänzlich den Offizieren vorbehaltene Kasino war deshalb als Ort dieser Veranstaltung ausgewählt worden, weil es der einzige Raum in ganz Aden war, der genug Platz für so viele Menschen bot, und außerdem englisch genug war, um den eingeladenen Damen wenigstens einen Anflug von Eleganz bieten zu können.
    Wobei dies sowohl hinsichtlich des Ambientes wie des Publikums mehr von guter Absicht zeugte denn von Erfolg gekrönt war, wie Maya dachte, als sie ein erneutes Gähnen hinunterzwang und sich umsah: ein rechteckiger Raum mit rohen Mauern aus weißem Kalkstein, rußverschmiert vom Qualm der Zigarren und Zigarillos, die hier jeden Abend kistenweise in Rauch und Asche aufgingen. Die hölzernen Läden vor den

Weitere Kostenlose Bücher