Unter dem Safranmond
Brief, den sie erst heute erhalten hatte, obwohl er ihn vor über drei Wochen geschrieben hatte, klang in ihr nach. Der nächste Brief würde sicher auch wieder auf sich warten lassen.
Die erste Schlacht des Krieges war erfolgreich geschlagen worden, als die Engländer und Franzosen von ihrem Landungsplatz der Calamita-Bucht Richtung Sebastopol marschiert waren und am Fluss Alma den dort wartenden russischen Truppen einen kräftigen Nasenstüber versetzt hatten. Freudestrahlend hatte Ralph ihr die Nachricht überbracht, hatte ihr jedes noch so kleine Detail berichtet, von dem er gehört und gelesen hatte, und es war deutlich spürbar, wie sehr er mit dem Feldzug mitfieberte, von dem er ausgeschlossen war.
Mayas Blick wanderte zu ihrem Mann, der gerade in eine angeregte Unterhaltung mit zwei anderen Offizieren vertieft war. Seine Wangen glühten, von Hitze, Gin und den engagierten Gesten, mit denen er seine Meinung vertrat. Es war richtig , sprach sie sich innerlich selbst Mut zu, ja, natürlich war es das! Und dennoch schmeckte es schal, wenn sie ihre überschwänglichen Zeilen an Assistenzarzt Jonathan Greenwood, erstes Bataillon Rifle Brigade schrieb, und bis heute hatte sie es aus genau diesem Grund vermieden, Tante Elizabeth auch nur einen kurzen Gruß zu schicken. Ausgerechnet Tante Elizabeth, die gewiss Mayas Durchbrennen mit Ralph am wenigsten verurteilen würde. Und doch fürchtete sie, die scharfsinnige alte Dame würde zwischen den Zeilen etwas herauslesen, was sie hellhörig werden ließ. Maya kannte sie; Tante Elizabeth würde kein Blatt vor den Mund nehmen, unverblümt nachfragen und Maya so auf Dinge stoßen, über die sie nicht nachzudenken oder sich zu äußern bereit war.
»Nein, Outram macht das schon richtig«, hörte Maya Ralph sagen. »Das ist es, was wir hier brauchen: eine ordentliche Verwaltung und die britische Befehlsstruktur, die sich auch in Indien bewährt hat. Nicht einen solchen halb arabischen Schlingerkurs, wie Haines ihn gefahren hat!«
»So weit gebe ich Ihnen recht, Ralph«, warf eines seiner Gegenüber ein, »aber Outram scheint sich hier nicht sonderlich wohl zu fühlen. Kein Wunder: Bei seiner angeschlagenen Gesundheit ist Aden auch ein denkbar ungünstiger Platz. Ist gewiss nur eine Frage der Zeit, bevor er den Posten hier mit fliegenden Fahnen wieder gegen einen im schicken Bombay eintauscht!«
»Gerede«, widersprach Ralph im Brustton der Überzeugung und tätschelte kameradschaftlich die Schulter seines Gesprächspartners, »alles nur Gerede. Aber selbst wenn: In weiser Voraussicht hat Outram alle Schlüsselpositionen unter ihm mit Leuten besetzt, die gute Kontakte nach Bombay haben, damit unsere Anliegen dort Gehör finden. Und je enger Aden sich an Bombay bindet, desto klarer können wir den Herren dort machen, dass Aden ein unverzichtbarer Posten ist, den es noch weiter zu stärken gilt.«
Für die Briten besaß Aden mit seiner geographischen Lage und Gegebenheiten eine besondere strategische Bedeutung, die der Hauptgrund für die Besetzung gewesen war. Aden lag ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Bombay und Suez – einer Strecke, die auf der für England so wichtigen Reiseroute nach Indien nicht ungefährlich war. Nicht nur, dass sie zwischen dem osmanischen Vizekönigreich Ägypten und der Westküste Arabiens, die zum großen Osmanischen Reich gehörte, hindurchführte; das Rote Meer war außerdem ein beliebter Tummelplatz für Piraten afrikanischer und arabischer Herkunft. Ein britischer Militärposten auf dieser Route war daher ein deutliches Signal, dass man besser keine Hand an britische Schiffe legte und den Ostindienverkehr ungestört passieren ließ.
»Unbedingt«, pflichtete ihm der zweite Offizier bei. »Was man so hört, gärt es in Mekka. Zwei Familien streiten sich um den Titel des Sherifen der Heiligen Stadt. Ausgerechnet! Noch ist Konstantinopel abgelenkt, damit beschäftigt, sich gegen das gefräßige Russland zu wehren. Aber mit unserer Hilfe ist der Zar schnell bezwungen. Dann wird sich der Sultan wieder den Konflikten im eigenen Reich zuwenden können, und sicher will er als Erstes in Mekka für Ruhe sorgen. Woher wissen wir, dass er nicht dabei auch seine Macht zu demonstrieren sucht, indem er seine Grenzen gleich bis hinunter ans Meer ausdehnt und Aden schluckt? Unseren Beistand jetzt im Krieg hin oder her; auf ewige Dankbarkeit würde ich bei den Türken nicht bauen! Aden kann nicht stark genug sein, und man kann gegen Haines sagen, was
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