Unter dem Safranmond
Hut.«
Schweigend saßen sie nebeneinander in dem Ponykarren, den Richard samt Fahrer gemietet hatte und der sie an den Rand des Kraters brachte, an eine Stelle, von der aus man von unten die in die Felsen gebauten Mauern der alten Zisternen sehen konnte. Und schweigend folgte Maya Richard den Pfad hinter den Häusern hinauf, durch den vor so langer Zeit erkalteten Lavastrom hindurch, der anthrazitfarben glänzte, an manchen Stellen rötlich gefleckt, als würde der Stein in der salzgetränkten Luft Adens rosten. Der steil ansteigende Weg war klar erkennbar, wenn er auch nicht viel benutzt zu werden schien.
Die Geräusche der Stadt verklangen, all die Wagenräder, das Geklapper und Geknirsch von Pferde- und Kamelhufen auf hartem Untergrund, das Stimmengewirr. Es war, als zöge eine unbekannte Macht sie weg von den Dächern, den Türmen und Minaretten Adens, schützend geborgen im Inneren des Steinkreises, hinauf in eine andere Welt, in der Dämonen, der Teufel oder Gott selbst sie erwarten mochten. Magere Sträucher, kaum mehr als dürre Zweige mit braunen Pergamentfetzen daran, klammerten sich in Gesteinsspalten, zappelten im Wind, der hier oben kräftig blies. Irgendwo schlugen ein paar wilde Hunde an, verstummten aber sogleich wieder. Eine betörende Stille herrschte hier, die Maya gefangen nahm, ein Kontrast zu der Stadt unter ihnen, wie er größer nicht hätte sein können. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn, rannen ihr den Rücken auf der Innenseite des Hemdchens unter dem Kleid hinab, wurden aber sogleich vom Wind wieder getrocknet. Herrlich, weil von körperlicher Bewegung herrührend, herrlich, weil sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder tief Luft in ihre Lungen schöpfen konnte. Selbst wenn dieser Aufstieg kein Ziel gehabt hätte, wäre er jegliche Anstrengung wert gewesen. Doch nur wenige Schritte weiter blies Maya überrascht die Luft aus, als sie erkannte, wo Richard sie hingeführt hatte. Was sie bislang von unten nur als undeutlichen hellen Fleck im schwarzen Fels wahrgenommen hatte, entpuppte sich als niedriger runder Turm, zu dem ein ummauerter Weg hinführte. Staunend blieb sie stehen, besah sich in aller Ruhe dieses seltsame Bauwerk, das nur eine Türöffnung und keine Fenster hatte, an dessen Fuß winzige Kapernsträucher mit fleischig grünen Blättern wuchsen und Gräser mit verblüffend üppigen weißen Blüten. Und sie zuckte zurück, als sie dazwischen sonnengebleichte Knochen ausmachen konnte. Menschenknochen : Schienbeine, Rippenbögen, ein Schulterblatt. Erschrocken sah sie Richard unter ihrer im Wind auf und ab flatternden Hutkrempe an. »Was ist das hier?«
Er antwortete nicht sofort, als müsste er zuerst die befremdliche Stimmung dieses Ortes ganz in sich aufnehmen, ebenso schön wie grausam. »Das ist der Turm des Schweigens«, verkündete er dann feierlich in dessen Richtung und fügte zu Maya gewandt hinzu: »Die Begräbnisstätte der Parsen, denen Erde, Feuer, Wasser und Luft allesamt gleich heilig und rein sind, die nicht durch tote Körper verunreinigt werden dürfen. Hierher bringen sie ihre Verstorbenen, um sie allein durch die Sonne bestatten zu lassen – und durch Vögel wie Milane und Krähen«, erklärte er mit einer Geste zum Himmel, wo große schwarze Vögel neugierig über ihnen kreisten. »Aus ihren Schnäbeln und Krallen landet manch ein Knochen vom Dach des Turms, wo die Parsen die Toten ablegen, dann doch wieder auf der Erde.«
Maya durchlief ein Schaudern. »Wie trostlos – kein Grab zu haben, an dem man trauern kann.« Ihre Finger schlossen sich um das Medaillon mit den darin verborgenen Portraits ihrer Großeltern, an deren Grabsteinen sie so oft gewesen war.
»Nein, Maya«, widersprach Richard sanft, »das ist Freiheit! Nach seinem Tod in den Kreislauf der Elemente einzugehen – kann es etwas Schöneres, etwas Heiligeres geben? Das würde ich mir auch wünschen, wenn meine Zeit gekommen ist.«
Maya dämmerte es, dass Richard sie nicht ohne tieferen Grund an diesen Platz geführt hatte. »Warum?«
Seine Mundwinkel zuckten, als er sich abwandte, ein Bein auf einen Felsbrocken stellte, sich mit dem Unterarm darauf abstützte und in das Innere des Kraters hinabblickte. »In einer Woche breche ich nach Somalia auf.« Er kniff die Augen zusammen. »Die Royal Geographic Society hat großes Interesse daran, dass das Innere des Landes endlich erforscht und kartographiert wird. Einerseits, um eventuell eine Inbesitznahme vorzubereiten – aber auch, um
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